Lieblingsorte
Das Schottenstift auf der Freyung
In Wien herrscht der Barock, in Wiens Kirchen allemal. Da knäulen sich Wolken zu ganzen Gewitterlandschaften, Engel stürzen auf die Gläubigen herab oder reißen sie mit empor, und verzückte Heilige blicken verklärt und mit großer Gebärde in Richtung Himmel. Alles ist Drama, alles ist große Emotion.
Wer Ruhe und Kontemplation sucht, tut sich schwer mit den Gotteshäusern der Stadt. Verständlicherweise, denn viele von ihnen entstanden nach der zweiten Türkenbelagerung oder im Zuge der Gegenreformation. Es sind – und ich bitte, dies nicht böse zu verstehen - Zweckbauten, Triumphbögen und sakrale Theaterräume, mit deren Architektur- und Bildprogramm die Catholica et Sancta Dei Ecclesia zum fortwährenden Kampf gegen die „Anderen“, gegen Muslime und Lutheraner, aufrief.
Wer Ruhe und Kontemplation sucht, tut sich schwer mit den Gotteshäusern der Stadt. Verständlicherweise, denn viele von ihnen entstanden nach der zweiten Türkenbelagerung oder im Zuge der Gegenreformation. Es sind – und ich bitte, dies nicht böse zu verstehen - Zweckbauten, Triumphbögen und sakrale Theaterräume, mit deren Architektur- und Bildprogramm die Catholica et Sancta Dei Ecclesia zum fortwährenden Kampf gegen die „Anderen“, gegen Muslime und Lutheraner, aufrief.
Die Waffe selber ist heute stumpf, wir nehmen diese Ausstattungen oft nur noch als Kunstwerke wahr ohne sie weiter zu interpretieren. Die programmatischen Inhalte der Bilder sagen uns nichts mehr, ja selbst die Bedeutung der jeweils verehrten Heiligen ist häufig nicht mehr relevant. Karl Borromäus (Patron der Karlskirche – der barocksten aller barocken Kirchen Wiens)? Ein fanatischer Gegenreformator und zuständig bei Pest. Das eine wirkt heute eher unsympathisch, das andere ist hierzulande hoffentlich obsolet.
Trotzdem: die aufwühlende Wirkung dieser Kirchenräume bleibt und kann auch durchaus noch begeistern – siehe auch hier die Karlskirche als Paradebeispiel. Zur Selbstreflexion lädt deren Pathos aber gewiss nicht ein, nur zum Staunen.
Wer aber eine Kirche nicht als Kunstwerk besuchen möchte, sondern als auch heute noch funktionierendem sakralen Raum, dem sei die Schottenkirche, im 1. Bezirk auf der Freyung gelegen, ans Herz gelegt.
„Nicht als Kunstwerk“ – das soll natürlich keineswegs bedeuten, dass die Schottenkirche und das dazugehörige Stift samt Museum keine Kunstwerke sind. Ganz im Gegenteil: sie beherbergen Meisterwerke ersten Ranges. Sogar barocke.
Aber diese machen nicht die Magie des Ortes aus.
Durch all den Zierrat und das Ornament, mit dem auch die Schottenkirche gefüllt ist, sprich die Kirche doch eine völlig andere Sprache als ihre himmelstürmenden Schwestern. Sie strahlt Geborgenheit und Innerlichkeit aus, vor allem aber: Beständigkeit. Oder: Geerdet-Sein. Es ist schwierig, es präzise auszudrücken, aber der ganze Komplex wirkt, als wäre er schon immer dagewesen.
Der Grund dafür ist keineswegs (oder: nicht nur; je nachdem wie man das empfinden will...) so metaphysisch, wie der Satz zunächst klingt. Denn tatsächlich gehören Stift und Kirche zu den ältesten Gründungen Wiens.
Was damals im Jahr 1155 ein Akt modernster Lokalpolitik war, nämlich die Gründung eines Klosters als geistliches und kulturelles Zentrum einer heranwachsenden Residenzstadt, wirkt heute, 900 Jahre später, fast wie aus einem Tolkien-Roman. Es ist geradezu mystisch: der Babenberger-Herzog Heinrich II. Jasomirgott holt eigens dafür iroschottische Mönche nach Wien. Babenberger – diese vor-habsburgischen Herrscher Österreichs sind für das neuzeitliche Wiener Lebensgefühl in etwa so greifbar wie der Basilisk oder das Rote Mandl. Und iroschottische Mönche – hat man da nicht unweigerlich wilde Männer mit kahlrasierten Schädeln und keltische Kreuze vor Augen?
Realitätsnah ist beides nicht. Die Babenberger waren eine sehr reale Dynastie und die Iren, die um 1200 herum den großen romanischen Vorgängerbau der heutigen Kirche errichteten, waren keine wilden Fanatiker mehr, sondern Benediktinermönche.
Dennoch, Kirche, Krypta und Kloster auf der Freyung strahlen etwas von der Archaik dieser Phantasien aus. Was nicht zuletzt daran liegt, dass trotz zahlreicher Umbauten Reste der alten Basilika (in der Fassung nach dem Stadtbrand von 1276) präsent sind. Im Hauptkirchenraum mit seinem schlichten, viereckigen Grundriss und den wenigen, hoch ansetzenden Fenstern schimmert noch die Wucht der Romanik durch die barocke Ausstattung. Und der Hauptaltar, dessen ursprünglich barockes Hauptbild im 19ten Jahrhundert durch ein wesentlich zurückhaltenderes, sehr schönes Neorenaissance-Mosaik von Michael Rieser ersetzt wurde, verleiht dem Raum eine zusätzliche strenge Würde.
Am allerklarsten aber ist die Atmosphäre des ursprünglichen Baus in den Seitenbereichen des Kirchenschiffs, der „Romanischen Kapelle“ und der „Finsteren Sakristei“, zu erleben. Und während die Sakristei der Vorbereitung der heutigen Benediktinermönche zum Gottesdienst vorbehalten ist, steht die Romanische Kapelle mit der darin aufgestellten Steinskulptur „Unserer Lieben Frau von den Schotten“ als Alltagskapelle den Besuchern offen. Dass diese Figur das älteste erhaltene Marienbild der Stadt ist, verleiht dem Raum noch eine zusätzliche Aura.
Wer also in Ruhe zu sich selber finden will: diese schlichte, uralte Kapelle ist der ideale Ort dafür. Hier gibt es kein Übermaß der Eindrücke, keinen Kampf der Nebensächlichkeiten. Hier manifestieren sich, aufs Wesentliche reduziert und für jeden nachvollziehbar, das, was das Schottenstift und seine Kirche zu einem „Lieblingsort“ in Wien macht: Ewigkeit.
(Beitrag 18.11.2019)
Mein Tipps:
Die Romanische Kapelle ist täglich zwischen 11.00 und 18.00 Uhr zugänglich.
Neben einer Besichtigung der Kirche ist auch ein Besuch des Museums Pflicht für jeden Interessierten. U.a. ist auf dem gotischen Schottenaltar die älteste Stadtansicht Wiens zu entdecken. Informationen und Öffnungszeiten unter http://www.schotten.wien/stift/museum/.
Besonders zu empfehlen ist die Führung, die jeden Samstag um 14:30 durch Kirche, Krypta und Museum stattfindet. Unter ebenso sachkundiger wie sympathischer Führung bekommt man umfassende Einblicke in Historie und Gegenwart des Schottenstifts. Treffpunkt und Tickets im Klosterladen neben der Kirche.
Einen allgemeinen Überblick über das Stift bietet die Webseite http://www.schotten.wien. Hier gibt es nicht nur touristische und historische Informationen, sondern auch alles Wissenswerte zur Seelsorge und zu den schulischen Einrichtungen des Stifts.
Die Romanische Kapelle ist täglich zwischen 11.00 und 18.00 Uhr zugänglich.
Neben einer Besichtigung der Kirche ist auch ein Besuch des Museums Pflicht für jeden Interessierten. U.a. ist auf dem gotischen Schottenaltar die älteste Stadtansicht Wiens zu entdecken. Informationen und Öffnungszeiten unter http://www.schotten.wien/stift/museum/.
Besonders zu empfehlen ist die Führung, die jeden Samstag um 14:30 durch Kirche, Krypta und Museum stattfindet. Unter ebenso sachkundiger wie sympathischer Führung bekommt man umfassende Einblicke in Historie und Gegenwart des Schottenstifts. Treffpunkt und Tickets im Klosterladen neben der Kirche.
Einen allgemeinen Überblick über das Stift bietet die Webseite http://www.schotten.wien. Hier gibt es nicht nur touristische und historische Informationen, sondern auch alles Wissenswerte zur Seelsorge und zu den schulischen Einrichtungen des Stifts.