Lieblingsorte
Die verlorenen Theater der Mila Röder
Zu Beginn des Jahres 1872 macht eine junge Dame Furore in der Stadt. Sie singt, sie spielt Harfe, überhaupt ist sie schön wie ein Engel – und eine Verführerin dazu: in ihrer Rolle als Bärenbändigerin Olga, die sie am Carltheater gibt, präsentiert sie sich doch tatsächlich mit nackten Armen.
Man ist empört, die Presse zerreißt sich das Maul und die Rechnung geht auf: die Gesellschaft strömt ins Theater um die frivole Schöne aus der Nähe zu betrachten. Zuhause werden die Herren dann beim Souper ihren Gattinnen empört versichern, dass diese Frivolität nun grade gar nicht angehe, und später, wenn sie unter ihresgleichen bei einer Zigarre im Salon stehen, werden sie von diesem geheimnisvollen Wesen schwärmen.
Man ist empört, die Presse zerreißt sich das Maul und die Rechnung geht auf: die Gesellschaft strömt ins Theater um die frivole Schöne aus der Nähe zu betrachten. Zuhause werden die Herren dann beim Souper ihren Gattinnen empört versichern, dass diese Frivolität nun grade gar nicht angehe, und später, wenn sie unter ihresgleichen bei einer Zigarre im Salon stehen, werden sie von diesem geheimnisvollen Wesen schwärmen.
Mila Röder.
Schon der Name klingt exotisch. Und eigentlich weiß man recht wenig von ihr, irgendwo aus Deutschland kommt sie und ihr Vater, der auch ihr Impresario ist, macht in der Presse einen ungeheuren Wind um sie. Ob sie eine große Sängerin ist, darin gehen die Bewertungen auseinander, aber das ist egal. Die weißen Ärmchen! Die schlanken Waden! Und das niedliche Gesichtchen! Damit macht sie den matronenhaften Theatergöttinnen, der Gallmeyer und der Geistinger, die grade die Wiener Theaterszene beherrschen, gehörig Konkurrenz.
Die Männerwelt spielt verrückt, Kavaliere lauern der Sängerin vor ihrem Hotel, dem „Goldenen Lamm“ in der Praterstraße, auf und überhäufen sie mit Präsenten. Der grade in der Stadt anwesende Jaques Offenbach verliebt sich einmal mehr unsterblich und läuft ihr nach wie ein Hündchen. Und der Walzerkönig Johann Strauß will eine Operette für sie schreiben, hört man.
Mila Röder hat Glück, erlebt sie doch Wien in seiner kulturellen und gesellschaftlichen Blütezeit. Die Fährnisse der napoleonischen Ära sind vergessen, die demokratischen Träume der 1848er Revolution fürs erste von den Truppen der Konterrevolution erstickt. Das Haus Habsburg erlebt unter dem ebenso so unfähigen wie langlebigen Franz Josef I seine letzte Scheinblüte, der K. und k. Reichsadel, der immer weniger wirkliche Macht in seinen Händen hält, stürzt sich kopfüber ins Vergnügen und verprasst seinen über Jahrhunderte angehäuften Besitz. Und das Bürgertum, dem man die Politik verboten hat, verlagert sein Interesse auf die Wirtschaft und prosperiert. Es ist die Ringstraßenära, Wien verwandelt sich in atemberaubendes Tempo. Aus einer biedermeierlichen Provinzstadt wird eine mondäne Metropole.
Heute ist dieses Wien zum großen Teil Vergangenheit, Barock und Biedermeier überbaut vom Pomp eines Hansen und Schmidt, deren überbordende Werke wiederum verschwunden unter denen ihrer Nachfolger, allen voran dem omnipräsenten Otto Wagner, hinweggefegt von zwei Weltkriegen und lieblos vernichtet im Wahn der autogerechten Stadt der Nachkriegszeit. Gewiss, einiges steht noch, in Wien mehr als in jeder anderen Metropole im deutschsprachigen Raum. Aber noch mehr ist endgültig dahin.
Machen wir uns also einmal auf die Suche nach der verschwundenen Welt der Mila Röder, dem Wien in der Mitte des 19ten Jahrhunderts.
Da wäre zunächst einmal ihr „Stützpunkt“ in Wien, das Hotel „zum goldenen Lamm“ in der Praterstraße 7 im 2. Bezirk. Es war eines der legendären Hotels Wiens, nachweisbar seit dem 16ten Jahrhundert, und zu Milas Zeiten das, was man heute wohl als „Promi-Absteige“ bezeichnen würde: Otto von Bismarck logierte hier ebenso wie Hoffmann von Fallersleben, Josefine Gallmeyer versammelte hier die Wiener Theatergesellschaft um sich, darunter den oben genannten Offenbach, aber auch den Theaterdirektor Jauner, den Schriftsteller Bauerfeld (heute fast vergessen, damals der bekannteste Komödienautor Österreichs) und viele, viele andere. Das Haus wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und abgerissen, aber immerhin bewahrt das Grundstück seine Tradition – heute steht hier das SO/ Vienna, das mit seiner bekannten Loftbar erneut Treffpunkt der Schönen und Reichen aus aller Welt geworden ist.
Gänzlich verschwunden ist hingegen das seinerzeit ebenso beliebte und sicher auch von Mila frequentierte Stierböck’sche Kaffeehaus in der gegenüberliegenden Praterstraße 4. Einerlei, Wien hat bis heute eine ausreichende Anzahl an Cafés. Schwerer wiegt doch der Verlust des Carltheaters, Praterstraße 31.
Das Carltheater, 1847 nach Plänen der Architekten August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll, den glücklosen Architekten der Wiener Hofoper, erbaut, war eines der großen Häuser seiner Zeit. Viele der Werke Johann Nestroys erlebten hier ihre Uraufführung, fast alle Operetten von Franz von Suppé. Diesem Genre war das Haus Zeit seines Bestehens besonders verpflichtet, das „Wiener Blut“ von Johann Strauss erblickte hier das Bühnenlicht der Welt, die großen Meister dieser Zunft bis hin zu Fall und Stolz schrieben für das Carltheater.
Im Zweiten Weltkrieg von Bomben schwer getroffen, das Äußere aber gut erhalten, fiel das Gebäude schließlich dem Modernisierungswahn der Nachkriegsära zum Opfer. An seiner Stelle erhebt sich heute der sogenannte Galaxy Tower, an dessen architektonischem Wert man durchaus berechtigte Zweifel hegen darf. Kulturhistorisch ist er ein Nichts, das es in seiner gewinnorientierten Arroganz nicht einmal für nötig hält, an den ungleich ruhmvolleren Vorgängerbau zu erinnern: eine Gedenkplatte, die an das Carltheater erinnert, ist inzwischen verschwunden. Sie war wohl einem Reklamekasten oder einem Schaufenster im Weg. Schade drum.
Nur wenig besser sieht es auf der anderen Seite des Donaukanals aus. Die beiden wichtigen Operettenbühnen zur Zeit Milas, das Quaitheater am Franz-Josefs-Quai und das Strampfertheater in der Tuchlaube sind verschwunden und durch gesichtslose Wohn- und Bürobauten der Nachkriegsära ersetzt worden.
Eines der Häuser aber steht noch, und es ist zumindest in seinem Äußeren teilweise (man beachte die Summe der Einschränkungen!) so erhalten, wie Mila Röder es auch gesehen haben wird: das Theater an der Wien in der linken Wienzeile. Es ist bis heute eines der großen Häuser der Stadt, historisch das bedeutendste Opernhaus Wiens: Beethovens „Fidelio“ wurde hier uraufgeführt, sowie seine 5. Und 6. Sinfonie, Lorzings „Waffenschmied“, Millöckers „Bettelstudent“, Zellers „Vogelhändler“, Kálmáns „Bettelstudent“ und, und, und. Die Uraufführungsliste des Hauses liest sich wie das Who-is-who der bedeutendsten Werke der Bühnenliteratur. Für die Wiener ragt ein Werk heraus: 1874 erklang hier zum ersten Mal die „Fledermaus“, das Strauss-Werk, das wie kein zweites der Operette und der Stadt Wien zu internationaler Geltung verholfen hat.
Von der Wienzeile aus ist vom Theater allerdings so gut wie nichts mehr zu erkennen, das Gebäude wurde zu Beginn des 20ten Jahrhunderts überbaut, aber in der Millöckergasse und vor allem in der Léhargasse auf der Rückseite des Theaters, präsentiert sich das Haus so, wie Mila Röder es bei ihrem Engagement im „Schwarzen Corsaren“, einem Werk ihres hartnäckigen Verehrers Offenbach gesehen haben wird.
Wer die Pracht Wiens zur Zeit Mila Röders nachempfinden will, tut dies allerdings am besten an zwei Orten, die mit dieser hinreißend schönen Frau in Verbindung stehen, auch wenn sie selbst dort nicht aufgetreten ist, sondern in denen sie nur als „VIP“ zu Gast war:
Die Sophiensäle, in denen Mila an der Seite Offenbachs in der Faschingszeit den Concordia-Ball – als DER Society-Ball der Stadt der Vorgänger des heutigen Opernballs – besuchte, sind auch heute noch ein vielbesuchter Veranstaltungsort im Bezirk Landstraße. Äußerlich hat sich das Gebäude deutlich verändert, die Fassade im Sezessionsstil stammt aus dem Jahr 1899. Aber im Innern zeigen die nach einem Brand im Jahr 2013 wiedereröffneten Veranstaltungssäle den prachtvollen Zustand des 19ten Jahrhunderts.
Und dann ist da natürlich noch der Saal, in dem Mila Röder ihr gesellschaftliches Entrée in Wien gab und sich im Rahmen eines Konzertabend des legendären Franz Liszt zum ersten Mal der Wiener Gesellschaft präsentierte: der Goldene Saal im Musikverein. Bis heute steht dieser prächtige Raum für die große Tradition der Wiener Musik. Alle Welt kennt ihn, und jährlich wird von hier aus das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in alle Kontinente übertragen. Die Musik, die dann erklingt, ist Reminiszenz an die vergangene, (vermeintlich) heile Welt eines Johann Strauss und eines Jaques Offenbach, ein nostalgischer Nachhall aus dem Wien der Kaiserzeit.
Es ist ein letzter Gruß aus dem Wien der Mila Röder.
(Beitrag 24.09.2019)
Mein Literaturtipp:
Catrin Möderler „Mila Röder – ein bühnenreifes Leben“, bei Amazon erhältlich unter https://www.amazon.de/MILA-R%C3%96DER-EIN-B%C3%9CHNENREIFES-LEBEN/dp/3748293941/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&keywords=Mila+R%C3%B6der&qid=1569146646&s=gateway&sr=8-1
Catrin Möderler „Mila Röder – ein bühnenreifes Leben“, bei Amazon erhältlich unter https://www.amazon.de/MILA-R%C3%96DER-EIN-B%C3%9CHNENREIFES-LEBEN/dp/3748293941/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&keywords=Mila+R%C3%B6der&qid=1569146646&s=gateway&sr=8-1