9. Bezirk, Alsergrund
Die Strudlhofstiege hinauf
Bevor ich mich mit Handy-Kamera, einer Flasche Wasser und einem faltbaren Stadtplan (da bin ich altmodisch, Google-Maps und Konsorten können den guten alten Papierdruck nicht ersetzen, auf dem man schnell einmal hin- und her blättern kann, und auf dem man ganz vorsichtig mit einem Stift den zurückgelegten Weg markiert) bewaffnet einen Stadtspaziergang unternehme, habe ich mir normalerweise die Rahmenbedingungen zurechtgelegt: wo soll es losgehen, was ist das allgemeine Thema und wo – zumindest so ungefähr – führt der Weg entlang.
Manchmal aber ergibt es sich anders, und ich steige irgendwo aus Bus oder Bim, weil mich etwas anspricht. Oder weil mir spontan einfällt: stimmt, hier wolltest du immer schon einmal hin.
So auch an diesem Sonntagmorgen, als ich, nach einem ausgiebigen Frühstück mit Freunden am Bauernfeldplatz, plötzlich vor der Strudlhofstiege stehe. Gut, das nahegelegene Palais Liechtenstein kenne ich ja schon, soll es heute also die Stiege hinauf gehen. Mal sehen, wohin der Weg führt.
Dass er zum jungen Franz Schubert führen wird, ist beim Anblick der Treppenanlage noch keineswegs zu erkennen. Reiner Jugendstil, elegant geschwungenes Eisenwerk, zwei Brunnenanlagen – die Strudlhofstiege, wie so vieles in Wien unter der Ägide des ebenso umtriebigen wie umstrittenen Karl Lueger geplant, entstand erst um 1910 und verbindet die tiefergelegene Liechtensteinstraße mit der Strudlhofgasse bzw. der dahinterliegenden Währinger Straße. Es ist ein besonders elegantes Exemplar dieser in Wien oft anzutreffenden Treppenanlagen, berühmt aber vor allem durch Heimito von Doderers gleichnamigen Roman „Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre“ – ein zentrales Werk Österreichischer Nachkriegsliteratur. Ich muss an Lessings Ausspruch über den seinerzeit bekannten Dichter Klopstock denken: „Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? - Nein.“ Und nehme mir vor, den Doderer endlich denn auch einmal zu lesen.
Oben angekommen, lockt nicht etwa die kleine Gasse selbst, sondern das sonderbar-mächtige Gebäude-und-Panzersperrengeflecht in der Boltzmanngasse: das majestätische Priesterseminar mit Kirche samt prachtvollem Wappen über dem Portal, sowie die US-Amerikanische Botschaft. Diese ist im üppig neo-barocken Gebäude der K.k. Akademie für Orientalische Sprachen untergebracht, einem großzügigen Prachtbau, der so gar nicht zu den vorgelagerten Wachanlagen, Sperrgittern und Überwachungsmasten passen will, mit denen die Supermacht sich hier umgibt. Umgeben muss?
Wie auch immer, die Boltzmanngasse führt weiter auf die Alserbachstraße. Irgendwo hier in der Tiefe der Kanalisation muss die Als noch fließen, jenes Flüsschen, das dem ganzen Bezirk seinen Namen gegeben hat. Zu sehen ist davon nichts, stattdessen sprudelt, in einer ausgesparten Ecke auf der Rückseite der Liechtensteinischen Besitztümer, der Schubertbrunnen von 1928. Das marmorne Mädchen, das den Brunnen ziert, scheint angestrengt über den Straßenlärm hinweg zu hören. Wer ihrer Einladung folgen und selber auch nach Schubert suchen will, muss also vermutlich dorthin.
Zur Sicherheit also ein rascher Blick in die Schubert-Biografie, die ich – dem Smartphone sei Dank – natürlich auch hier parat habe: geboren 1797 in der Gemeinde Himmelpfortgrund, heute im Bezirk Alsergrund aufgegangen, Taufe, Schulbesuch und erste musikalische Schritte in Lichtental. Die Jugend dieses wienerischsten aller Wiener Komponisten liegt also tatsächlich jenseits der lärmenden Verkehrsader.
Wer sie kreuzt kommt auch jetzt noch in das bescheidenere Wien der Schubert-Zeit: die großen Häuser und prächtigen Stiegen sind hier verschwunden, Gemeindebauten, Zinshäuser der Jahrhundertwende und kleine Geschäfte bestimmen das Straßenbild. „Die schönsten Seidenblumen von Wien“ wirbt ein kleiner Laden. Seidenblumen? Mit denen hat man sich schon zu Schuberts Zeit gerne geschmückt. Heute sind sie vielleicht etwas aus der Zeit gefallen. Aber der Besitzer hat recht: schön sind sie immer noch.
Und es gibt sie hier schon eine kleine Ewigkeit, über 100 Jahre schon, und vermutlich wird es hier immer noch Seidenblumen zu kaufen geben, wenn im betriebigen 1. Bezirk oder auf der Mariahilfer Straße schon der x-te Zara auf den x-ten H&M gefolgt ist. In diesem Teil des Alsergrunds scheint ein anderes Zeitmaß zu gelten. In Blickweite der Lichtentaler Pfarrkirche, in der der junge Franz das Orgelspielen lernte und für die er zahlreiche seiner geistlichen Werke schrieb, hat alles – zumindest an einem Sonntagmorgen – einen ruhigeren Gang.
Und so wundert es auch nicht, dass ich im Geburtshaus des Komponisten in der Nußdorfer Straße 54 an diesem Vormittag fast alleine bin. Nur eine Japanerin ist außer mir da, die, so ergibt sich aus der Unterhaltung, die wir im sonnigen Innenhof führen, nur wegen Schubert nach Wien gereist ist. Mal nicht wegen Beethoven, dem Titan oder Mozart, dem Genius, sondern wegen des bescheidenen Schubert Franzl – die Frau ist mir auf Anhieb sympathisch.
Spektakuläres bietet das vom Wien Museum betriebene Haus im Übrigen nicht, ein paar Bilder, Schuberts Gitarre. Dennoch lohnt der Besuch für jeden, der dem Liederkomponisten ein wenig näher kommen will: die Anlage atmet noch die Zeit des Biedermeier. Bezaubernd.
Und immerhin ist Schubert hier populär: „Schubertviertel“, so nennen sich die angrenzenden Straßenzüge inzwischen, und ich entdecke auch ein kleines Plakat „Kunst rund um Schubert“. Ein eindrücklicher Kontrast dieser Schubert-Welt zum feudalen Gehabe der Strudlhofstiege und ihrer Umgebung dann mitten im Straßengewirr: die Himmelpfortstiege, einfach, praktisch, spartanisch, aber auch eine Stiege. Eine Schubert-Stiege halt.
Ein Bogen durch das charmante Grätzel, durch enge Hofwege und entlang der Währinger Straße – hier produziert die heutige Generation Künstler allerhand Interessantes im WUK während die weniger interessierte Bevölkerung es sich bei Wiener Frühstück oder nachmittäglicher Sachertorte im nostalgischen Café Weimar wohl sein lässt – führt schließlich zur Volksoper, und damit zum Schlusspunkt dieses Spaziergangs.
Wiens zweitgrößtes Opernhaus stand zu Schuberts Zeiten noch nicht, seine wenigen dramatischen Werke – erfolglos allesamt – wurden andernorts aufgeführt. Dafür treffen wir hier wieder auf einen anderen alten Bekannten, auf den „Erfinder“ des imposanten Wiens an der Wende zum 20ten Jahrhundert: auch dieses Bauwerk stammt aus dem Umfeld von Karl Lueger.
So schließen sich die Kreise…
(Stadtspaziergang 03.06.2018)
Meine Tipps:
Das WUK bietet eine breite Palette kultureller Veranstaltungen sowie Angebote für die Anwohner des Bezirks. Informationen unter https://www.wuk.at.
Zugegeben, es ist etwas aus der Zeit gefallen, aber genau dafür lieben wir die Wiener Cafés ja: ein Besuch im Café Weimar (http://cafeweimar.at) ist Pflicht, wenn man in der Gegend ist.
Wer Schubert einmal „am Originalschauplatz“ nahekommen will, sollte sich den Konzertkalender der Lichtentaler Pfarrkirche, die sich selber auch „Schubertkirche“ nennt, anschauen: http://www.schubertkirche.at
Und schlussendlich: natürlich die die Wiener Volksoper mit ihrem populären Angebot aus Musical, populärer Oper und Operette eine besuchenswerte Alternative zu Staatsoper & Co.: das Programm ist zu finden auf www.volksoper.at
Das WUK bietet eine breite Palette kultureller Veranstaltungen sowie Angebote für die Anwohner des Bezirks. Informationen unter https://www.wuk.at.
Zugegeben, es ist etwas aus der Zeit gefallen, aber genau dafür lieben wir die Wiener Cafés ja: ein Besuch im Café Weimar (http://cafeweimar.at) ist Pflicht, wenn man in der Gegend ist.
Wer Schubert einmal „am Originalschauplatz“ nahekommen will, sollte sich den Konzertkalender der Lichtentaler Pfarrkirche, die sich selber auch „Schubertkirche“ nennt, anschauen: http://www.schubertkirche.at
Und schlussendlich: natürlich die die Wiener Volksoper mit ihrem populären Angebot aus Musical, populärer Oper und Operette eine besuchenswerte Alternative zu Staatsoper & Co.: das Programm ist zu finden auf www.volksoper.at