Auf der Burggasse

Anatomie einer Wiener Straße (7. Bezirk Neubau)

Vorne hui und hinten pfui – das gilt, etwas zugespitzt formuliert, für eine der bekanntesten Wiener Straßen außerhalb der Inneren Stadt: die Burggasse. Die kulturelle und touristische Fallhöhe, die die Straße auf ihren knapp 1,5 Kilometern zwischen Museumsquartier und Lugner City durchmisst, ist in jedem Falle gewaltig und macht einen Spaziergang die Straße hinunter zu einem sehenswerten Streifzug durch die Wiener Gesellschaft zwischen Hochkultur und Pornokino, zwischen Abendanzug und Drogenstrich. 

Wobei, beide Extreme – und so ziemlich alles Denkbare dazwischen – hat es in Wien immer schon gegeben, und die Trennwände zwischen anscheinend unvereinbaren Lebenswirklichkeiten waren oft durchlässiger, als es die allgemeine moralische Vorstellung wahrhaben wollte. Womit wir bei Schiele und Klimt, sprich: im Museumsquartier MQ, wären.

Beide Künstler haben, wenn auch unter gänzlich verkehrten Lebensumständen, ihre Kunst bis an die Grenzen des in ihrer Zeit Akzeptablen und darüber hinaus geführt. Klimt als Grandseigneur der österreichischen Kulturszene in der Spätblüte der k. u. k. Monarchie, Schiele als von ihr ausgegrenzter Provokateur. Im Leopold Museum, einem der internationale bedeutenden Museen auf dem Gelände der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen, sind sie nun mit wesentlichen Werken vertreten und verhelfen dem MQ maßgeblich zu (in normalen Jahren) großem Publikumsandrang.

In normalen Jahren – denn im diesjährigen Corona-Winter ist es eigentümlich still auf dem Gelände von Leopold, MUMOK, Kunsthalle und Co. Der sonst immer sehenswerte Weihnachtsmarkt zwischen den Kulturtempeln fehlt, es fehlen aber vor allen die Besucher aus aller Herren Länder, die sonst hier für Warteschlangen an den Kassahäuschen sorgen.

Man sollte sich von der Melancholie, die das im Stich gelassene Gelände zumal bei schlechtem Wetter ausstrahlt, nicht schrecken lassen. Vielmehr lohnt es sich die Gelegenheit zu nutzen und einen Blick „hinter die Kulissen“ zu tun. Denn auf den Wegen und Zufahrten abseits der Besucherpfade findet man nicht nur den Beweis, dass Kunst nach Karl Valentin „schön ist, aber auch viel Arbeit macht“ – Verladezonen, Reparatur- und Restaurierungswerkstätten, Lager und Müllräume – sondern auch den herrlichen Bogen der alten barocken Marställe.

Verlässt man das Areal über den Ausgang zur Burggasse hin, leuchtet auf der gegenüberliegenden Straßenseite selbst im trüben Regenwetter das frisch renovierte Volkstheater. Auf die bevorstehende Wiedereröffnung einer der größten Sprechtheaterbühnen im deutschen Sprachraum darf man gespannt sein, zumal nicht nur die Fassade aufgefrischt wurde, sondern auch Innenräume und vor allem die Bühnentechnik auf Stand gebracht wurde.

Einstweilen ist das Haus aber noch geschlossen, im kommenden Monat (Jänner 2021) soll es losgehen – so die Gesundheitsverordnung dies zulässt.

Nicht mehr öffnen hingegen wird wohl das auf der Rückseite des Volkstheaters liegende Bellaria Kino. Es ist eines dieser kleinen, charmanten Lichtspielhäuser, die den Kampf gegen die Megakinos aufgeben mussten. Dass just dieses Haus mit dem Film „Bellaria – So lange wir leben!“ in die Wiener Filmgeschichte einging, hat eine eigene, bittere Ironie.

Soviel zum „Hui“ am Beginn der Burggasse. Man muss zugeben, ein hochwertigeres Entrée kann eine Straße kaum haben. Und auch wenn einer solcher Kulturgipfel, wie bereits angedeutet, die Gefahr mit sich bringt, dass es danach bergab geht – mit der Burggasse geht es zunächst einmal bergauf. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ihr erster Abschnitt als Wohnstraße liegt auf dem Spittelberg. 

Auch dieser Anstieg beginnt mit einem Superlativ, denn in der Burggasse 3 hat die Uhrmacherei Schmollgruber ihre Niederlassung im kleinsten Haus von Wien! Und klein ist das Haus in der Tat, an keinem anderen Gebäude der Stadt wirken die obligatorischen rot-weiß-roten Draperien nebst Denkmaltafel so überdimensioniert wie an diese klassizistische Lückenfüller von 1872.

Auch auf den folgenden Metern bietet die Burggasse ein durch attraktives Bild mit charmanten kleinen Geschäften und attraktiver Gastronomie. Der Spittelberg ist „in“, wie deutlich zu sehen ist. Das es nicht immer so war, sondern dass hier bis in die Neuzeit hinein Not und Elend an der Tagesordnung waren, daran erinnert jetzt bestenfalls noch die Pestsäule an der straßenseitigen Fassade der St.-Ullrichs-Kirche.

Bis in etwa Höhe Kirchgasse ist die Gentrifizierung der Burggasse bisher fortgeschritten. More to come, wie den Medien zu entnehmen ist. Bis zum Adlerhof, einem Durchhaus zur Siebensterngasse hin, ist die Umgestaltung bereits im Umsetzung. Und man darf sicher sein, dass früher oder später auch die nachfolgenden Abschnitte einer Generalüberholung unterzogen werden. Ob zum Schaden oder zum Nutzen, darüber mag sich jeder seine eigene Meinung bilden.

Einstweilen ist der nun folgende Abschnitt der Burggasse in etwa das, was Stadtführer gemeinhin als „authentisch“ bezeichnen. Architektonische Perlen wie das Gebäude „Zu den zwei Rittern“ oder kulturelle Glanzlichter wie das Ateliertheater werden seltener, dafür ist das Leben hier eben nicht mehr touristisch, hier ist Wien, wie Wien eben ist. Eigentlich auch ein schützenswertes Kulturgut… 

Denn dass solcherart Grätzel als eigenes Biotop ein ganz eigenes Leben führen können, zeigt ein symptomatisches Beispiel, kurz vor Ende der Burggasse: das Admiralkino. Hat das Bellaria im „attraktiven“ unteren Teil der Straße nicht überlebt, das Admiral hat durchgehalten. 

Und dass trotz scheinbar modernerer Konkurrenz durch das nahegelegene Lugner Kino. Aber das liegt halt bereits jenseits des Gürtels. Und wer ginge da schon hin…

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Meine Tipps:

- Eine Reise in die cineastische Vergangenheit Wiens bietet der Film „Bellaria – So lange wir leben!“, der sogar mit einem eigenen Wikipedia-Artikel mit Links und Bezugsquellen geadelt wurde: https://de.wikipedia.org/wiki/Bellaria_%E2%80%93_So_lange_wir_leben!

- Und natürlich, das noch existierende Admiralkino. Aktuelles Programm unter www.admiralkino.at.

- Wem der Sinn eher nach dem klassischen Theater steht: hier der Link zum Programm des Volkstheaters: https://www.volkstheater.at/spielplan/

 

© Hartmut Schulz 2023

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