7. Bezirk, Neubau
Rund um den Spittelberg
Hinter den ehemaligen Stallungen der Hofburg, dem heutigen Museumsquartier, bricht das imperiale Wien plötzlich in sich zusammen. Klein und geduckt werden die Häuser, eng die Gassen, schmucklos die Straßenzüge. Wir sind am Spittelberg, bis weit über die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hinaus eine der verrufensten Gegenden Wiens.
Heute ist diese Grätzel im 7. Bezirk hipp, die Biedermeierhäuser liebevoll restauriert, die Straßen zu Fußgängerzonen umgewidmet. Restaurants und Cafés reihen sich aneinander und man sitzt an warmen Tagen im Freien und an kalten in urigen Gewölben zwischen dutzenden anderen Gästen.
„Gastfreundich“ war die Gegend freilich schon lange.
Ursprünglich eine kleine Siedlung auf einer Anhöhe direkt vor der Stadtmauer, war der Spittelberg im 18ten Jahrhundert bereits eng bebaut. Doch das, was wir heute, in Zeiten der flächendeckenden Energieversorgung und des überall verfügbaren frischen, fließenden Wasser, als „gemütlich“ empfinden, war damals Zeichen äußerster Armut und größten Elends. Überbelegte Häuser mit einer Grundfläche von weniger als 50 qm, enge, lichtlose Höfe und Straßen, auf denen sich der Unrat häufte, den man einfach aus den Fenstern warf, machten diese Vorstadt zu einem Seuchenherd.
Nicht zufällig lagen in dieser Gegend auch etliche Pestgruben. Zu einer davon soll auch dieser Stadtspaziergang führen, auch wenn sie schon etwas jenseits des Spittelbergs liegt.
Sie lag an der Ecke Neustiftgasse/ Kellermanngasse. Hier warf man im Jahr 1679 neben vielen anderen Opfern des schwarzen Todes auch den leblosen Körper eines stadtbekannten Trunkenboldes und Dudelsackpfeifers hinein: den lieben Augustin. Allein – der war zwar betrunken bis zur Besinnungslosigkeit, aber nicht tot. Als er nun seinen Rausch ausgeschlafen hatte, machte er mit seinem Dudelsack Radau, bis man ihn aus der Grube rettete. Laut schimpfend verschwand er in die nächst beste Wirtschaft – vermutlich am Spittelberg.
Es ist dies eine der bekanntesten Wiener Sagen, der man heute an der Stelle der Pestgrube mit dem Augustinbrunnen ein charmantes Denkmal gesetzt hat.
Für seltsame Charaktere war hier auf jeden Fall immer schon der geeignete Ort. Nicht umsonst gewährte Kaiser Josef II dem Quartier 1776 die Schauspielfreiheit.
„Schauspielfreiheit“, das klingt nach großartiger kultureller Entwicklung. In Wirklichkeit bedeutete dies lediglich, dass sich hier Schausteller aus aller Welt produzieren konnten – zur Unterhaltung des innerstädtischen Publikums und vor allem der jungen Soldaten der Wiener Kasernen.
Großartige Theaterbauten entstanden nicht, man spielte in Bretterbuden, in den Sälen der Gasthäuser oder auf freier Straße. Und nicht nur diese Form der Unterhaltung etablierte sich am Spittelberg: zeitgleich wuchs er zu Wiens größtem Rotlichtviertel heran. Angeblich frequentierte der Kaiser die Damen sogar selbst. Im Gasthaus „Witwe Nolte“ ist bis heute die Inschrift erhalten „Durch diesen Bogen ist Josef rausgeflogen.“ - eine Anspielung auf die liederliche Zahlungsmoral des kaiserlichen Galans.
Mit dem Biedermeier – also der Zeit zwischen Wiener Kongress und dem Revolutionsjahr 1848 – wandelte sich der Ruf der Gegend zu Besseren, allerdings nur marginal.
Die Stadt war näher herangerückt, und man gab sich etwas reputierlicher. Viele der Häuser, die heute den Reiz des Grätzels ausmachen, stammen aus dieser Zeit. Reich allerdings war man auch zu dieser Zeit hier nicht, der Wohnraum blieb eng, und auch, wenn die Häuser höher wuchsen, blieben die Straßen lichtlos. Wer hier wohnte, war meist zugezogen, meist vom Balkan. "Krowotndörfl" – „Kroatendorf“ war ein gängiges der Schimpfworte.
An diesem Zustand sollte sich über den Untergang des Habsburger Reiches hinaus, ja selbst bis nach dem Zweiten Weltkrieg nichts ändern: der Spittelberg war und blieb arm und seine Häuser verfielen zusehends.
So sehr, dass man in den 60er und 70er Jahren plante, die ganze Gegend abzureißen und hier Hochhaussiedlungen entstehen zu lassen. Doch da hatte man die Rechnung ohne die Wiener gemacht: die Gebäude wurde okkupiert und es wurde debattiert und demonstriert, bis endlich der Beschluss gefasst wurde, den alten Baubestand zu sanieren.
Welch einen Gefallen die Kommune sich damit getan hat, kann man – we eingangs gesagt – heute deutlich sehen: das „Dorf in der Stadt“ ist heute eine der beliebtesten Ausgehmeilen Wiens.
(Stadtspaziergang 01.05.2019)
Meine Tipps:
Mit gesundem Appetit im Gepäck bei lauem Wetter einen abendlichen Spaziergang durch das Grätzel. Das kulinarische Angebot ist überwältigend und verlockt zum Experimentieren.
Wer etwas vom rebellischen Charme der alten Schauspielfreiheit erleben möchte geht ins Theater am Spittelberg, das auch von außen noch die alten Bretterbuden zitiert. Das Programm ist finden unter http://www.theateramspittelberg.at.
Auch, wenn es noch ein halbes Jahr hin ist: der Weihnachtsmarkt am Spittelberg gilt als der romantischste von Wien. Unbedingt vormerken.
Mit gesundem Appetit im Gepäck bei lauem Wetter einen abendlichen Spaziergang durch das Grätzel. Das kulinarische Angebot ist überwältigend und verlockt zum Experimentieren.
Wer etwas vom rebellischen Charme der alten Schauspielfreiheit erleben möchte geht ins Theater am Spittelberg, das auch von außen noch die alten Bretterbuden zitiert. Das Programm ist finden unter http://www.theateramspittelberg.at.
Auch, wenn es noch ein halbes Jahr hin ist: der Weihnachtsmarkt am Spittelberg gilt als der romantischste von Wien. Unbedingt vormerken.