Der Herr Haydn geht nach Hause

Zu den historischen Bauten in Mariahilf (6. Bezirk Mariahilf)

Es ist ein warmer Spätsommernachmittag des Jahres 1802, und der alte Herr, der sich soeben wieder einmal im jüngst eröffneten Theater an der Wien das Vorsingen einer jungen, ach-so-vielversprechende Sopranistin anhören musste – Wie viele mögen es in seiner langen Karriere gewesen sein`? Sicher hunderte! – der alte Herr jedenfalls beschließt, das herrliche Wetter so spät im Jahr zu nutzen, und nicht mit der Kutsche, sondern zu Fuß nach Hause zurückzukehren.

Der Weg ist nicht weit, aber mit seinen 70 Jahren ist Joseph Haydn nicht mehr der Jüngste. Als er durch das Hauptportal des Theaters mit der Papageno-Skulptur, die der Herr Direktor Schickaneder sich zur Erinnerung an seine berühmteste Rolle hat setzen lassen, in Freie tritt, entscheidet er sich deshalb, nicht rechterhand hinunter an den Wienfluss zu gehen, wo ihm der ewige Wiener Wind zu sehr bläst. Stattdessen wählt er den Weg zur Linken, über den es durch die heranwachsenden Vorstädte Laimgrube, Mariahilf und Gumpendorf eine gute Stunde Fußweg zu seinem idyllische gelegenen Alterssitz in der Kleinen Steingasse inmitten der Gärten von Windmühle ist. Mit den Barnabiten-Mönchen, die die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt mit dem schönen Gnadenbild betreuen, ist Haydn gut Freund. Er wird auf dem Weg auf ein Glaserl bei ihnen vorbeischauen. 

Auf diesem Stadtspaziergang wollen wir den berühmtesten Komponisten seiner Zeit über den Weg begleiten, auf den Spuren des frühen Biedermeiers im heutigen 6. Bezirk Mariahilf.

Nur wenige Spuren dieser Zeit sind erhalten. Die stadtnah gelegenen Vorstädte – seit Mitte des 19ten Jahrhunderts Stadtbezirke – haben ihr Gesicht im Zeitalter der Industrialisierung radikal verändert. Zu Beginn der Epoche floss die Wien noch ungehindert im Tal, und an ihren Ufern lagen einzelne Gebäude und Höfe zwischen Obst- und Gemüsegärten. 

Die Gebäude, die aus Haydns Zeit noch übrig sind, lassen sich an zwei Händen abzählen, die Gesamtliste findet sich in den Fußnoten zu diesem Bericht. Und auch was noch übrig ist, ist verändert: Bestenfalls in die heute engmaschige Straßenbebauung integriert, schlimmstenfalls umgebaut, überformt und nur noch in der Grundsubstanz erhalten.

Skurrilstes Beispiel dafür dürfte die Laimgruber Kirche St. Josef sein, an der Haydn als erstens auf seinem Weg vorbeigekommen wäre. Vermutlich wäre er sogar kurz hineingegangen, um seinem Namenspatron die Aufwartung zu machen. Er hätte den im Wesentlichen gleichen Kirchen-Innenraum vorgefunden, den wir auch heute sehen. Nur – nicht an dieser Stelle.   

Ursprünglich stand die Kirche direkt an der heutigen Mariahilfer Straße. Als zu Beginn des 20ten Jahrhunderts der Baugrund dort teuer und damit für Spekulanten interessant wurde, beschloss man, den ursprünglichen Bau niederzureißen und ihn einige dutzende Meter den Hang hinunter wieder aufzubauen!   

Wiedererkannt hätte Haydn auch die nächste Sehenswürdigkeit auf dem Weg, das „Haus zum goldenen Hirschen“ – zumindest am Portal mit der namensgebenden Tierfigur, der Rest der heutigen Fassade stammt aus späterer Zeit. Mit seinem heutigen Namen „Raimundhof“ hätte er allerdings nichts anfangen können. Der Schauspieler Ferdinand Raimund war erst 1790 hier geboren worden, zur Zeit dieses fiktiven Nachhausewegs also grade einmal zwölf Jahre alt. Vielleicht ist Haydn dem früh-talentierten Lausbuben irgendwo auf der Straße begegnet, wo dieser Grimassen zog und Passanten nachäffte. Wer weiß…

Dem alten Herrn wäre es vermutlich egal gewesen, zumal sein eigentliches Ziel im damaligen Mariahilf, die Kirche mit ihrer grandiosen Orgel und dem Gnadenbild der Maria auf dem Hochaltar sowie das danebenliegende Kloster der Barnabiten, in greifbarer Nähe liegt.

Dass er dort gelegentlich zu Gast war, ist erwiesen, und so kannte er auch den Salvator-Saal, einen der schönsten Barocksäle Wiens, auch wenn der in der Öffentlichkeit heute kaum bekannt ist. Das ehemalige Winterrefektorium, sprich: der Speisesaal, wird heute gelegentlich von der Gemeinde als Veranstaltungssaal von Jugendgruppe bis Abendkonzert genutzt, findet sich aber in keinem Stadtführer. Dabei sind die authentischen Raumfassung und vor allem die Deckenfresken erstklassig und allemal einen Besuch wert.   

Das Haydn-Denkmal vor der Kirche ist im Übrigen eine falsche Fährte. Eigentlich hätte es vor der Gumpendorfer Kirche St. Ägyd stehen sollen, zu deren Gemeinde Haydn gehörte. Aber den Spendern war diese Platzierung nicht prominent genug und so landete der Komponist auf dem Vorplatz der Mariahilfer Kirche. 

Noch ein wenig Alt-Wien erlebt, wer zwischen Kirche und Kloster die Barnabitengasse zur Gumpendorfer Straße hinuntergeht. Wem ein wenig der Sinn nach Gruseln steht: Die Kreuzigungsgruppe an der Außenfassade der Kirche stammt eigentlich aus der Rauhensteingasse im 1. Bezirk. Vor ihr wurde die Todesurteile der Stadt verlesen und vor ihr sprachen die Delinquenten ihr letztes Gebet vor der Hinrichtung. Vermutlich schaut der heilige Johannes deshalb so erschöpft drein.

Durchs Häusergewirr zwischen Mariahilfer und Gumpendorfer sind es nun nur noch wenige Minuten zum Haydn-Wohnhaus. Seine heutige Adresse lautet Haydngasse 19. Zusammen mit dem nebenstehenden Haus Nr. 21 ist es eines der wenigen authentisch erhaltenen Häuser dieser Zeit im inneren Wien.

Der Besuch lohnt, ganz egal, wie man zu klassischer Musik steht. Weniger wegen der Ausstellung, vielmehr, weil das Haus selbst den Geist der Zeit bewahrt hat: Der Innenhof atmet zeitlose Ruhe, der Grundriss mit seinen Winkeln, Treppchen und Balkonen lädt zum Stöbern ein, und der Fußboden knarrt und ächzt bei jedem Schritt, dass es eine Freude ist. Wer erlebbare Vergangenheit sucht – hier ist sie.

Haydn genoss hier bis in sein Todesjahr 1809 das Vorstadt-Idyll. Wer auch noch seinen letzten Weg nachgehen will, muss indes noch einmal hinaus in die Stadt und auf die andere Seite des Wienflusses. Dort, an der Stelle des heutigen Haydnparks zwischen 5. und 12. Bezirk lag einst der Hundsturmer Friedhof. Auf ihm wurde der Komponist bestattet, ehe ihn Fürst Esterhazy 1820 nach Eisenstadt überführen ließ. Großteils jedenfalls, denn bei der Exhumierung fehlte der Schädel. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Meine Tipps:

- Hier ist, wie versprochen, die Liste aller Gebäude der Haydn-Zeit, die in Mariahilf noch erhalten sind:  Theater an der Wien, Laimgrubenkirche Windmühlgasse 3, Beethovenhaus Laimgrubengasse 22, Miethaus „Zum römischen Kaiser“ Stiegengasse 9, Raimundhof Mariahilfer Straße 45, Mariahilfer Kirche, Salvatorianerkolleg (ehem. Barnabitenkloster), Barnabitengasse 14, Miethaus Barnabitengasse 6, Miethaus Esterházygasse 27, Haus „Zum Auge Gottes“ Gumpendorfer Straße 73, Marchettihaus Gumpendorfer Straße 95, Kreuzigungsgruppe Brückengasse 5, Kirche St. Ägyd, Wohnhäuser Haydngasse 19 & 21

- In einem der genannten Häuser, den Beethovenhaus, kann man Ambiente der Zeit auch im Inneren erleben. Hier residiert das bekannte Restaurant Ludwig van (www.ludwigvan.wien)

 

© Hartmut Schulz 2023

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