Die roten Schlösser auf dem Margaretengürtel

Die Prestigebauten des Roten Wien im 5. Bezirk (5. Bezirk Margareten)

Wer den Weg aus Richtung Hauptbahnhof den Margaretengürtel hinunter nimmt, für den beginnt die Begegnung mit den „Schlössern von Margareten“ verhalten. Der Theodor-Körner-Hof (Margaretengürtel 68-74), entstanden in den Nachkriegsjahren zwischen 1951 und 1955 ist nur ein schwacher Nachhall der prächtigen Sozialarchitektur des Roten Wien, zu der es im Stadtspaziergang in dieser Woche gehen soll.

Und dennoch, versäumen sollte man die weitläufige Anlage, in deren Zentrum das Matzleinsdorfer Hochhaus die Straßen des Grätzels überragt, nicht. Sie ist ein typisches Beispiel für die utopische Vision der Gartenstadt, für das grüne Wohnen innerhalb des eng bebauten urbanen Gebiets. Und wer hinschaut, findet in inzwischen vernachlässigten Grünanlagen und an den Gebäuden mit ihrem abblätternden Putz Kunstwerk ersten Ranges von Fritz Wotruba, Wander Bertoni, Margarete Hanusch und anderen.

Die eigenartigste Wirkung allerdings hat eine Installation, die weniger mit Kunst, sondern vielmehr mit Lärmschutz zu tun hat: in Richtung des Gürtels grenzt eine transparente Schallschutzwand die Häuser vom Margaretengürtel ab und gibt den dazwischenliegenden Höfen den Charakter von  Vogelvolieren. 

Herz und Seele der Bauten an der Grenze zwischen den inneren – bürgerlichen – und äußeren – proletarischen – Bezirken beginnen aber einen Straßenzug weiter mit dem Julius-Popp-Hof (Margaretengürtel 76-80) von 1925/ 26 und seinem „Zwilling“, dem Herweghhof (Margaretengürtel 82-88) von 1926/ 27. 

Hier ist alles realisiert, was die sozialdemokratische Stadtregierung der Zwischenkriegszeit im Bereich des sozialen Bauens für wünschenswert hielt: die zwar kleinen, aber für ihre Zeit modern ausgestatteten Wohnungen öffnen sich zu weiträumigen Innenanlagen voller Grün. Ausreichend Platz für spielende Kinder ist vorhanden, in den Laubengängen zur Straße hin ist aber auch Geschäftsraum untergebracht, so dass alltägliche Einkäufe fußläufig in kurzer Zeit zu erledigen sind. Kurz – ein proletarisches Wohnparadies, das so perfekt sicher nie funktioniert hat, das aber in jedem Fall einen Riesenschritt weg von den menschenunwürdigen Lebensumständen für die „einfachen Leute“ im Wien der späten Kaiserzeit darstellt.

Beachtenswert für den heutigen Besucher ist vor allem die Architektur der Gesamtanlage, die mit ihren Arkaden, Pavillons, Säulen und gezackten Giebeln irgendwo zwischen deutschem Mittelalter und italienischer Renaissance angesiedelt ist. 

Spielerische Leichtigkeit und Liebe zum architektonischen Detail sind hier Trumpf und heben damit die Bauten dieser Ära wohltuend vom stereotypen Rechteckdenken moderner Gemeindebauten ab. Der entzückende Bärenbrunnen im Grünbereich zwischen den beiden Wohnhöfen legt ein weiteres beredtes Beispiel dafür ab.

Die Keimzelle des sozialen Wohnungsbaus in Wien – und damit das älteste Gebäude dieser einzigartigen „Ringstraße des Proletariats“ am Margaretengürtel – findet sich mit dem nächsten Gebäudezug Margaretengürtel 90-98. Der Metzleinstaler Hof, entstanden zwischen 1916 und 1925, gilt als ältester Wiener Gemeindebau. 

Ursprünglich von privater Hand als Zinshaus geplant, ging den Bauherren das Geld aus und die Stadt Wien übernahm die Fertigstellung. Die mit 9 Jahren lange Bauzeit zeigt sich im Äußeren: während der Bereich zum Gürtel hin noch den zurückhaltenden Charakter der Vorkriegsära zur Schau stellt, löst sich der Gebäudekomplex entlang der Fendigasse in ein verspielt strukturierten, vom Jugendstil inspiriertes Über- und Durcheinander einzelner Baukörper auf. Die bunte Majolikaverzierung tut das ihrige, dem Metzleinstaler Hof eine durchaus freundliche Note zu verleihen.

Mit dem nächsten Gebäudekomplex Margaretengürtel 100-110, dem Reumannhof, ist der Höhepunkt der Architektur des Roten Wien am Gürtel erreicht. Oder überschritten – je nachdem, wie man sich ästhetisch zu diesem Koloss positionieren will.

Empfehlenswert ist auf jeden Fall der Zugang durch eine der kleineren Passagen, etwa von der Siebenbrunnengasse aus. Der entzückende Hof, durch den man die Gesamtanlage betritt, verströmt italienisches Flair und macht einmal mehr bewusst, dass kommunales Bauen und menschliches Maß  einander nicht ausschließen.

Ein Blick in einen der Hausflure offenbart allerdings, was bei diesem Gemeindebau schon von Beginn an kritisiert wurde: die immerhin 478 Wohnungen des Reumannhofes sind klein, die Gänge eher dunkel. Aber dennoch - die Eröffnung am 28. Juni 1926 war ein voller Erfolg: „Der Straßenbahnverkehr musste auf diesem Teil des Gürtels abgelenkt werden. Die ganze lange Hausfront verschwand hinter dem rotweißen und rote Fahnenschmuck und hinter den Girlanden. Das Schönste aber war das acht Stock hohe Mittelhaus mit den tausenden strahlenden Gesichtern in seinen festlich geschmückten Fenstern: eine Hymne an das Leben, an das Glück!“ (Arbeiter-Zeitung, Eröffnungsbericht 1926) 

Ob man den zum Gürtel gelegenen Ehrenhof inklusive besagtem Mittelbau und Reumann-Büste nun mag oder doch etwas unangenehm pathetisch empfindet – den Erfolg des dahinterstehenden politischen Konzepts, das bewusstseinsprägend für den gesamten Wiener städtischen Wohnungsbau bis in die Gegenwart werden sollte, kann niemand leugnen. 

Am besten bringt den Ansatz, auch der Arbeiterklasse ein menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen, eine Erkerfigur an der letzten Adresse dieses Stadtspaziergangs auf den Punkt. Vom Franz-Domes-Hof (Margaretengürtel 126-134) herab schaut der „Lichtbringer“ von Mario Petrucci auf das Treiben am Gürtel hinunter. Zu seinen Füßen ist der Text angebracht: „Licht in der Wohnung – Sonne im Herzen“

Was heute banal klingen mag, war damals beileibe keine Selbstverständlichkeit. Bauprojekte wie die Höfe am Margaretengürtel waren hierfür – auch international – ein Vorbild. Und sie sind bis heute einen Besuch wert.

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Meine Tipps:

- wie bereits angesprochen ist der Theodor-Körner-Hof ein Eldorado für Fans der Kunst nach dem zweiten Weltkrieg. Herausragend sind der „Figurale Fries“ von Fritz Wotruba an der Durchfahrt von der Reinprechtsdorferstraße aus, die Bronzeplastik „Freunde“ von Siegfried Charoux am Margaretengürtel 62-64, die Supraporte „Abstrakte Flächenteilung - Die Festung“ von Wander Bertoni, Margaretengürtel 62, sowie das Wandmosaik „Märchenzug“ von Paul Meissner am Kindergarten in der Reinprechtsdorfer Straße 1c.

- Wer die Bauten des Roten Wien authentisch erleben möchte: beim Kaffee oder Veltliner in einer der Wirtschaften an der Fendigasse zwischen Herweghhof, Matteotti-Hof und Matzleinstaler Hof kommt authentische 20er-Jahre-Stimmung auf. 

 

© Hartmut Schulz 2023

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