Leben mittendrin - Hundsturm

Ein lebendiges Grätzel im 5. Bezirk (5. Bezirk Margareten)

Auf einer alten Grafik sieht man ein anmutiges kleines Schlösschen mit Zwiebeltürmchen und wehrhaften Mauern auf einem Abhang oberhalb der Wien, im Hintergrund die sanften Hügel des Wienerwalds. Einige wenige Häuschen darum herum, sonst Wiesen, Felder und Wälder.

„Der Hundsturn“ steht in ungelenken Buchstaben groß über dem Gebäude. Und tatsächlich, diese Idylle stellt Schloss Hundsturm dar, das dem Hof als Jagdschloss in bequemer Nähe zur Stadt diente. Kaiser Matthias hatte hier um 1600 ein Rüdenhaus für seine Jagdhunde eingerichtet und auch sonst hielten sich die Habsburger gerne hier auf, um in Feld und Wald zu metzeln, was es in Feld und Wald zu metzeln gab.

Ob der Name Hundsturm von diesem Tierzwinger stammt oder ob er auf eine ältere „Hunczmühle in der Scheibenried“ zurückgeht, ist nicht gesichert – und letztlich für diesen Stadtspaziergang einerlei: Mühle, Schloss, Felder und Äcker sind verschwunden, aufgefressen von der metastasierenden Stadt Wien im 19. Jahrhundert. Nur der Name ist geblieben, heute ist das Gebiet zwischen Reinprechtsdorfer Straße, Siebenbrunnengasse, Gürtel und Wienfluss ein Teil des Bezirks Margareten und auf das Engste bebaut. Sehenswürdigkeiten – Fehlanzeige.

Im Gegenteil. Vor allem dem Abschnitt der Schönbrunner Straße, der durch Hundsturm führt, sieht man deutlich an, dass der Wirtschaftsboom Wiens hier noch nicht angekommen ist, und auch sonst gibt es nichts, weswegen man unbedingt herkommen muss.

Warum dann also ein Spaziergang durch diese engen Häuserzeilen mit ihren Zinshäusern aus dem 19. und – leider – vor allem aus dem 20. Jahrhundert?

Zum einen, weil Lockdown ist, und ich in Laufweite (im Bobo-Teil des 5. Bezirks) wohne. Zum anderen auch, weil ich weiß, dass sich da, wo der große touristische Glanz fehlt, das eigentliche, lebendige Wien findet, mit all seinen kleinen Details, die diese Stadt so besonders machen. Das nahe Schönbrunn spektakulär finden, das kann jeder. Aber mit offenen Augen durch Hundsturm zu laufen, ist mindestens ebenso interessant.

Da wäre zum Beispiel gleich zu Beginn der Siebenbrunnen auf dem gleichnamigen Platz. Die Anlage aus dem Jahr 1904 ist durchaus attraktiv, die Vindobona obenauf macht zudem einen hervorragenden Job als Rastplatz für die Stadttauben, und der unvermeidliche Lueger ist so unauffällig angebracht, dass er der grassierenden WOKE-Welle bisher entgangen ist. Spannend aber der Name. Wieso „Siebenbrunnen“?

Weil eine der ältesten Hofwasserleitungen seit 1553 sieben Quellen auf Margaretener Gebiet zusammenfasste und die Hofburg und umgebende Klöster und Palais der Inneren Stadt mit frischem Wasser versorgte.

Und so geht es weiter. Wenige Straßen entfernt vom Platz liegt das Betriebsgelände der Firma Füglister. Muss man nicht kennen, aber in meinem Haus gibt es einen Aufzug aus dem Jahr 1968 von dieser Firma. Kein Otis und kein Thyssen – mein Fahrstuhl ist ein original Margaretener!

Zwei Gassen weiter liegt das renommierte Unternehmen Thomastik-Infeld, einer der führenden Hersteller von Musikinstrument-Saiten. Sicher, auch eher „Special Interest“, aber es ist doch schön zu wissen, dass Produkte aus Hundsturm internationalen Größen wie Hilary Hahn, Julian Rachlin oder dem Shanghai Quartett rund um den Globus zu ihrem großartigen Sound verhelfen.

Vermutlich eher von lokalem Interesse ist der quer gegenüberliegende Tierpräparator. Aber wer weiß schon, welch großes Tier hier vielleicht ausgestopft wurde. Oder, ob Hunde mit Pferdenackensehnen besser zurechtkommen als mit ihren eigenen. Oder warum der Tandler an der Ecke seinen Lockdown-Hinweis ausgerechnet mit Zeitungsausschnitten zu Brechts „Mutter“ hinterklebt hat, jener Geschichte des zivilen Ungehorsams gegen staatliche Willkür.

Und so gibt es an jeder Ecke etwas zu entdecken, eine Skulptur hier, ein Fassadendetail da, und es lohnt sich, die Augen offen zu halten. 

Zum Schluss, am Eck, an dem der Gürtel die Wien kreuzt, dann doch noch ein kleines Juwel: Hier steht die Hundsturmer Linienkapelle von 1759, das einzige Kirchlein von Dutzenden entlang des ehemaligen Linienwalls, das noch an seinem originalen Standort vorhanden ist.

Klein, bescheiden, aber - wie das ganze Grätzl – authentisch: Wien, wie es so nun einmal ist.

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Meine Tipps:

- Seit einigen Jahren lädt das frisch renovierte Einsiedlerbad auf dem Einsiedlerplatz wieder eröffnet. Ein informatives Video und alles zu den Öffnungszeiten findet sich hier: https://www.wien.gv.at/freizeit/baeder/uebersicht/saunabaeder/einsiedlerbad.html

- Das eingangs beschriebene Bild des Schlusses Hundsturm findet sich hier: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Schloss_Hundsturm.jpg

 

© Hartmut Schulz 2023

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