Nebel überm Kanal

Den Wiener Neustädter Kanal von Leobersdorf nach Kottingbrunn (Bezirk Baden)

Der Plan war großartig. Ein Kanal sollte her, 560 km lang, zwischen Wien und Triest, der ein für alle Mal die Versorgung der Hauptstadt mit Brennholz, Kohle und Luxusgütern aus dem Süden sicherstellen würde. 1797 wurde mit den Bauarbeiten begonnen, 1803 wurde der Kanal für den Verkehr geöffnet – da reichte er grade einmal 63 km bis Wiener Neustadt. Weiter sollte es auch nicht gehen, es war eh schon alles schlimm genug: Die Wasser der Piestig, mit dem der Kanal zu Prüfzwecken geflutet wurde, versickerten im ungenügend verdichteten Erdreich, und als man das Wasser der Leitha einleitete, stieg der Grundwasserspiegel der anliegenden Dörfer so sehr, dass in der Gruft der Franziskaner in Maria Lanzersdorf die Särge aufschwammen. Sprich, das Projekt war eine Katastrophe und man war froh, dass man zumindest diesen ersten Abschnitt halbwegs unfallfrei in Betrieb nehmen konnte. Froh – und pleite.

Es blieb also bei den wenigen Kilometern, auf denen man dann bis 1879 zunehmend lustlos Güter hin- und herschipperte, als endlich die kostengünstigere und schnellere Eisenbahn dem Ganzen ein Ende setzte. Der Kanal verschlickte, verschilfte und verlandete, bis 1956 die niederösterreichische Landesregierung zumindest ein Teilstück von 36 km Länge rettete und zum Industriedenkmal – und somit zum Naherholungsgebiet – umwidmete.

Eine geniale Idee, wie wir sofort einsehen, als wir vom Leobersdorfer Bahnhof kommend, den Kanal erreichen. Wobei – zum romantischen Gesamtbild trägt nicht unmaßgeblich der dichte Morgennebel bei, der die doch recht profanen Gewerbebauten am Ufer in sein geheimnisvolles Ungewisses taucht. Erst in Kottingbrunn auf Höhe des Schlossparks weicht die Bebauung dem Wald. 

Auch wenn das Schloss das Endziel unseres Ausflugs ist, gehen wir erst einmal in die entgegengesetzt Richtung, wo mitten im herbstlichen Gestrüpp Rennbahn- und Kipferlteich auf unseren Besuch warten, ehe dahinter – und inzwischen bei Sonnenschein und blauem Himmel - das freie Feld erreicht wird. Obwohl es Mitte November ist, blüht hier noch der Raps und ,nicht gerade, dass die Bienen summen, aber es ist spätsommerlich warm. 

Ob das „in Zeiten wie diesen“ ein Grund zur Freude ist, sei dahingestellt, für die heutige Wanderung ist die Witterung ideal. Im weiten Bogen geht es durch die freie Landschaft, vorbei an ein paar weiteren Teichen zum nördlichen Ortseingang von Kottingbrunn. Die ebenso originell wie passend „Hauptstraße“ benannte Hauptstraße macht ihrem Namen alle Ehre und führt nach wenigen hundert Metern zur Hauptattraktion des Ortes, dem Schloss. Wer will, kann auf dem Weg noch einen Blick auf oder in die Pfarrkirche St. Achatius (Fachgebietet diese Heiligen: böse Krankheiten und Todesangst) werfen – es lohnt sich bedingt.

Was dann das Schloss Kottingbrunn betrifft: Es ist ein Wasserschloss und im Kern noch romanischen Ursprungs. Beides macht es für diese Region Österreichs, in der zu Zeiten der Türkenkriege eigentlich alles niedergebrannt wurde, was auch nur annähernd militärische Bedeutung hatte, zur Besonderheit. Ein Loire-Schloss sollte man nicht erwarten, der Bau ist im seinem heutigen Äußeren solider, unspektakulärer Frühbarock.

Ein wunderbarer Schlusspunkt für eine Wanderung ist die Anlage allemal, weniger wegen des Schlosses, sondern wegen des in einem der Wirtschaftsgebäude untergebrachten Cafés. In der Herbstsonne zu sitzen und ein Stück des vorzüglichen Feigen-Topfenkuchens mit Honigglasur zu essen, ist ein wunderbarer Ausklang. Man fragt sich unwillkürlich, warum ein Kanal eigentlich bis Triest gehen soll, wenn es sich doch auch in Kottingbrunn paradiesisch leben lässt. 

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Meine Tipps:

- Umfangreiche Informationen zu Kottingbrunn finden sich auf der Webseite der Gemeinde https://www.kottingbrunn.gv.at/

- Auf dem Gelände des Wasserschlosses hat sich der Verein "Kulturszene Kottingbrunn" angesiedelt, der ein beachtliches Programm vornehmlich aus dem Bereich der Unterhaltung anbietet. Wer planen will findet die Übersicht hier: https://www.kulturszene.at/

- Gleich nebenan, im "Tratschcafé" (https://www.tratschcafe.at/) wird auch für das leibliche Wohl gesorgt. Bei schönem Wetter unbedingt einen Platz draußen suchen.

 

© Hartmut Schulz 2023

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