Im Tal der Liesing

Eine eigene Welt am südlichen Stadtrand: Roaun (23. Bezirk Liesing)

Sie muss einen beeindruckenden Anblick geboten haben, die „vest Radaun“ mit ihren ragenden Mauern und dem trutzigen Bergfried, hoch über dem Tal der Liesing. Gegründet zur Zeit der Babenberger, von den Osmanen beschädigt, aber nicht zerstört, im 18ten Jahrhundert zum Schloss umgebaut, hat das Gebäude im Kern bis heute den Sturm der Zeiten überstanden, auch wenn der Turm 1899 abgerissen wurde. Die Rolle als Landmarke übernimmt seitdem die nahegelegene barocke Bergkirche.

Ihr zu Füßen liegt am Zusammenfluss der Dürren und der Reichen Liesing die Ortschaft Rodaun. Auch wenn sie heute zu Wien-Liesing, also zum 23. Bezirk, gehört: Die Innere Stadt scheint von hier eine Ewigkeit entfernt. Was – schon rein geografisch – durchaus der Wirklichkeit entspricht, zum Stephansdom ist es von hier um einiges weiter als zum Beispiel von der Seestadt aus, die ja gemeinhin als „Kingdom of Far Far Away“ gilt.

Am schönsten erläuft sich Rodaun von der Haltestelle Breitenfurter Str./Liesingbrücke der Bim-Linie 60 aus. Man ahnt es: Grund dafür ist die Liesingbrücke, beziehungsweise der schmale Wanderweg, der entlang des Flusses unter ihr hindurchführt. Einen offiziellen Zugang findet man nirgends, aber die Böschung ist nicht steil, und stellt zumindest beim heutigen freundlich-sonnigen Herbstwetter keine Gefahr dar. 

Der Uferpfad ist dann überraschend gut ausgebaut, anscheinend wurden bei der Renaturierung der Liesing nicht nur die (berechtigten! das sei hier klargestellt) Bedürfnisse von Kröte, Natter & Co. berücksichtigt, sondern auch die der Anwohner. Kurz nach dem Zusammenfluss der beiden Quellflüsse erweitert sich die Anlage sogar zu einem kleinen Park, komplett mit Ententeich und Wasserfall. Hinter einer weiteren Brücke führt ein baumbestandener Weg die Reiche Liesing hinauf, wer aber das Städtchen kennenlernen will, folgt besser den Kaskaden der Dürren Liesing in die Siedlung.

Apropos reiche und dürre Liesing: Die Namen weisen auf die jeweiligen Eigentümlichkeiten der Bäche hin. Beide entspringen zwar im Wienerwald, die „reiche Schwester“ fließt dabei aber über wasserundurchlässiges Gestein und führt entsprechend immer Wasser, während die „dürre Schwester“ karstiges Gelände durchquert, was besonders in heißen Sommern dazu führen kann, dass sie versickert, ehe sie den Zusammenfluss erreicht. 

Doch genug vom angelesenen Halbwissen und zurück zum eigenen Erleben, zum Stadtspaziergang.

In der Siedlung oberhalb der Liesing wird man freundlich von zwei bronzenen Zicklein und einem Hasen in Empfang genommen, ehe es über die Fürst-Lichtenstein-Straße in die Ketzergasse und damit zur ersten Sehenswürdigkeit, dem Hofmannsthal-Schlössl (Hausnummer 471), geht. 

Der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal dürfte, zumindest in einigen seiner wesentlichen Werke, ziemlich jedem Österreicher ein Begriff sein. Opernfans (ich oute mich hier als Betroffener) bewundern ihn für seine diversen Libretti für Richard Strauss, allen voran zur „Elektra“, zum „Rosenkavalier“ und zur „Ariadne“. Und wirklich jeder kennt den „Jedermann“, der Sommer für Sommer in prominenter Besetzung auf den Stufen des Salzburger Domes zur Hölle fährt.

Dass der Autor erfolgreich war, auch in finanziellen Dingen, davon legt sein Rodauner Domizil Zeugnis ab, in dem er von 1901 bis zu seinem Tod im Jahr 1929 lebte: Der barocke Gutshof ist ein durch und durch imposantes Bauwerk. Das Gebäude hatte übrigens, Jahrhunderte früher, schon eine andere bekannte Eignerin: Maria Theresia schenkte das Schlössl ihrer Erzieherin und Freundin Karoline von Fuchs-Mollard. Die Beziehung der Kaiserin zur Gräfin war zeitlebens eng, die „Füchsin“ ist die einzige Nicht-Habsburgerin in der Kapuzinergruft!

Mehr als einen Blick auf den prominenten Bau kann man leider nicht werfen. Ich hatte zwar gelesen, dass eine Besichtigung nach Anmeldung möglich sein, aber keine Rufnummer oder E-Mail-Adresse zwecks ebendieser Anmeldung gefunden. 

Sei es drum, über den Hof des Gebäudes ist bereits das Wahrzeichen Rodauns zu sehen, die Bergkirche. Es geht ein kurzes Stück die Straße hinauf und dann, rechts abbiegend, den Weg zwischen einem heiligen Josef und einem heiligen Florian zum Kirchlein. 

Zweifelsohne ein hübscher kleiner Barockbau (sprich: gelb) in spektakulärer Lage, aber leider verschlossen. So bleibt nur, den gepflegten Vorplatz mit dem großen Eisenguß-Christus zu bewundern, eh es zum nahegelegenen Schloss (siehe oben) weitergeht. 

Aber desgleichen hier: Eine Besichtigung ist nur von außen möglich, hinein kommt man nicht. 

Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, oder gar: Rodaun den Rücken zu kehren, hält doch Mutter Natur nur wenige Meter durch den Wald auf der Rückseite des Schlosses eine ungleich imposantere und zudem kostenlos zu besuchende Sehenswürdigkeit bereit: den schroffen Felsen der Mizzi-Langer-Wand.

Allen Kletterern in Wien wird dieser ehemalige Steinbruch bekannt sein, dürfen sie hier doch ihrem Sport ungehindert – und unversichert ! – nachgehen. Uns anderen bleibt immerhin, im Wald am Fuß der Felsen auszuruhen und einfach die Natur zu genießen.

Es ist ein mehr als würdiger Abschluss für einen Besuch hier im Wiener Süden. Zurück geht es am dann besten über die im Tal liegende Kaltenleutgebner Straße zur Endstation der Linie 60. Hier begegne ich auch einer alten Bekannten wieder: Direkt neben der Haltestelle fließt die Liesing. 

Auf wiedersehen, meine Liebe. Schön hast Du’s hier!

- - - - -

Meine Tipps:

- Wer Lust hat, das Tal der Liesing ausgiebig zu „bewandern“ nutzt dafür am besten den Stadtwanderweg 6. Infos unter  https://www.stadt-wien.at/freizeit/sport/wandern/stadtwanderweg-6.html

- Hochzeit oder Taufe geplant? Katholisch oder evangelisch? Beides geht in der Bergkirche, die wegen ihrer spektakulären Lage dazu mehr als einlädt. Wie’s geht steht hier: https://www.bergkirche-rodaun.at/

 

© Hartmut Schulz 2023

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte prüfen Sie die Details und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.