Am Rande des Stadt

Ein Wintertag in Kalksburg (23. Bezirk Liesing)

Es ist kalt.

Kalt und trübe an diesem Sonntagmorgen. Eigentlich sollte man bei solchem Wetter zu Hause bleiben, am allerbesten im Bett. Mit einer Tasse Tee. Mit Rum.

Stattdessen geht es am frühen Morgen in den äußersten Südwesten Wiens, nach Kalksburg. Schon die Anfahrt ist – für Wiener Verhältnisse – beschwerlich: Mit dem Bus nach Meidling, von dort mit der S3 nach Liesing und dann wieder weiter mit dem 254er nach Kalksburg Kirche, mitten hinein in die Zweitausend-Seelen-Gemeinde, die gefühlt so gar nichts zu tun hat mit der Großstadt, zu der so nominell ja gehört.

Nur ein Indiz deutet darauf hin, dass man hier immer noch in Wien ist: Ein monumentaler Baukran, eine dieser großen Stahlkolosse, die derzeit überall das Stadtbild prägen. Auch hier, im Tal der Liesing, wird „der Stadtrand erschlossen“, in diesem Fall allerdings nicht durch Wohnbauten, sondern durch das erweiterte Pflege- und Kompetenzzentrum der Caritas Socialis. Für die gute Sache also.

Und für einen geistlichen Bauträger, passend zu Kalksburg, denn religiöse Institutionen prägen hier ebenso das Ortsbild wie die Stadtgeschichte. Unübersehbar auf einem Hügel, überragt die Kirche St. Petris in vinculis das Zentrum, und nur wenige hundert Meter weiter, über die Liesing, liegt das jesuitisch geprägte Kollegium Kalksburg.

Die monumentale Anlage gründet auf einem barocken Schlossbau der Carolina Fürstin von Trautson, einer Hofdame Maria Theresias. Mon Perou – „Mein Peru“ hieß die Residenz auf dem Lande. Peru? Nun, das ferne Land galt in der Zeit der Aufklärung als Ideal eines unverdorbenen freien Lebens, fernab kultureller und sozialer Zwänge. Es zeugt von den tiefen Wiedersprüchen des theresianischen Zeitalters, dass man sich ein solches „menschenwürdiges“ Dasein im Kaiserreich nur als Angehörige des Hochadels leisten konnte – über die tatsächlichen Verhältnisse ihrer Leibeigenen sah die feine Dame vornehm hinweg…

Wie auch immer, langer Bestand war dem blaublütigen Utopia ohnehin nicht beschieden, 1790 verkaufte sie an den Hofjuwelier Franz Ritter von Mack, der das Ortsbild mit weiteren Bauten – unter anderem der Kirche - entscheidend prägte. Dessen Enkel übergab die Anlage schließlich den Jesuiten und aus „Mein Peru“ wurde das „Collegium Immaculatae Virginis“.

Von der erträumten Freiheit blieb also nichts. Immerhin ist die goldfarbene Statue der jetzigen Namensgeberin in der Auffahrt ein Blickfang.

Wenige Meter hinter der Anlage mündet der Gütenbach in die Reiche Liesing. Wer ihm folgt, ist jenseits der Straßenunterquerung bereits außerhalb des Ortes in freier, heute vornehmlich feuchter Natur. 

Bis zum Gatter des Lainzer Tiergartens sind es gut zwei Kilometer auf dem asphaltierten Fahrweg. Ich biege aber lieber auf einem Feld links ab, einen Damm entlang, unter dem die II Wiener Hochquellenwasserleitung verläuft, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts frisches Quellwasser aus der Steiermark in die Kaiserstadt pumpt. Zu ihr gehört auch das Reisingergrabenaquädukt, mitten im Wald die romantische Kehrtwende für diesen Stadtspaziergang. Immerhin sind wir hier schon hart an der Grenze zu Niederösterreich.

Es geht also wieder ein Stück Wald- und Feldweg und dann auf der Straße zurück, um sie wenig später links auf einem Weg hügelauf zu verlassen. 

„Sterndlwiese“ und „Pappelteich“ klingen verlockend, und in der Tat hat die Gegend auch an einem trüben Wintertag ihren ganz eigenen Reiz. Nur manchmal lässt sich die Sonne hinter den grauen Wolken erahnen, jahreszeitenkonform entlaubt präsentiert sich der Wald, und über den abgeernteten Feldern kreisen die Krähen – diese eigentlichen Wappenvögel Wiens.

Als wäre dieses Setting nicht schon melodramatisch genug, findet sich kurz vor dem Pappelteich einige Schritte abseits des Weges ein Vogel ganz andrer Art. Aus einem Baumstumpf hat die Künstlerin Eva Meloun einen Phoenix geschaffen. Und was könnte bei diesem Wetter, mitten im winterlich-abgestorbenen Wald symbolträchtiger sein, als das Fabeltier, das vergeht, um aus seiner Asche immer wieder neu aufzuerstehen? Heiliger Siegmund Freud!

Kurz hinter diesem kleinen Kunstwerk ist dieser Spaziergang auch schon zu Ende: Der Weg führt am Fuße des Georgenbergs in die Wohnsiedlung von Wien Mauer.

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Meine Tipps:

- Die Kirche in Kalksburg liegt nicht nur malerisch, sondern ist auch einen Beuch wert. Ein besonderes Kleinod ist die originalerhaltene Orgel aus dem Jahr 1801. Infos zur Kirche und Pfarre unter https://de.wikipedia.org/wiki/Kalksburger_Pfarrkirche

- Das Reisingergrabenaquädukt auf einer Wanderkarte zu finden, ist schwierig. Die Geodaten lauten 48° 09′ 00,59″ N, 16° 12′ 49,69″ O

 

© Hartmut Schulz 2023

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