Die Schicksalstage von 1809

Aspern und Essling - Orte, die Geschichte schrieben (22. Bezirk Donaustadt)

Nachdem in den vergangenen Wochen entweder das Wetter zu schlecht war oder terminliche Gründe dagegen sprachen, war am heutigen Sonntag endlich der Zeitpunkt gekommen, eine Exkursion in Angriff zu nehmen, die ich schon seit einiger Zeit – Winter-bedingt, Corona-bedingt – immer wieder hatte aufschieben müssen: Aspern und Essling.

„In Angriff nehmen“, vielleicht auch „Ins Visier nehmen“? Ich stelle grade fest, wie viele Ausdrücke aus dem Militärjargon in meiner Alltagssprache vorkommen. Aber, bitte, „attackieren Sie mich dafür nicht“, sondern „sondieren Sie einmal bei sich selbst die Lage“. Es wird bei Ihnen nicht anders gehen und Sie müssen „die weiße Fahne schwenken“, ehe wir „Frieden schließen“.

Das mir dies just bei diesem Stadtspaziergang auffällt, ist indes kein Zufall. Die beiden kleinen Gemeinden zwischen Lobau und Marchfeld sind untrennbar mit einer militärischen Zäsur nicht nur der österreichischen, sondern der gesamteuropäischen Geschichte, verbunden: Hier erlitt Napoleon am 21. / 22. Mai 1809 seine erste empfindliche Niederlage. Und selbst, wenn der Stern des selbsternannten Befreier Europas (ob Europa befreit werden wollte, hatte er wohlweise zu fragen unterlassen) noch eine ganze Weile weiterglühte, hier, in diesen beiden heute wie damals beschaulichen Dörfchen, zerbrach der Nimbus seiner Unbesiegbarkeit. Mit der Schlacht von Aspern wurde aus dem Kriegsgott ein sterblicher Mensch, der zu besiegen war. Mühsam, aber immerhin.

An diese heroische Interpretation der Ereignisse erinnert der große sterbende Löwe, eine monumentale Sandsteinsteinskulptur, vor der Ortskirche. Der Bildhauer Anton Dominik Fernkorn lieferte den Entwurf für das Ehren-Tier, dass 1858  zum „Andenken der … ruhmvoll gefallenen österreichischen Krieger“ enthüllt wurde. 

Die tatsächlich herausragende Qualität des Bildwerks täuscht allerdings darüber hinweg, dass die eigentliche Schlacht so gar nichts Heroisches an sich hatte, von den 23.300 gefallenen Österreichern wird sich vermutlich kaum einer in seinen letzten Momenten wie ein Löwe gefühlt haben, ganz zu schweigen von den 27.000 Franzosen, die an diesen Tagen in den Dörfern, auf den Äckern und in den Wassern der Donau verreckten. Wobei: „Dörfer“. Auch vom alten Aspern stand am 23. Mai, dem Tag nach der Schlacht, nicht mehr viel.

Eines der wenigen Gebäude, das die Gewalt dieser Tagen überstand, war das alte Beinhaus der niedergebrannte Kirche. In diesem schmucklosen kleinen Bau von 1670 ist heute das „Museum Aspern-Essling 1809“ untergebracht, eines jener  von privaten Enthusiasten liebevoll – und durchaus sachkundig – betriebenen Bezirks- und Sondermuseen, ohne die die Stadt Wien um so viel Wissenswertes ärmer wäre.

Als Hommage an die Soldaten von Aspern – und in gewissem Sinne als Gegenstück zu monumentalen Löwen – ist dieses schon rein von der Fläche her bescheidene Museum ein Ort von schlagender (!) Überzeugungskraft. In einer der Vitrinen liegen die ausgegrabenen Überreste eines französischen Waffenrocks - man kann getrost davon ausgehen, dass sein Träger sich ein anderes Ende gewünscht hat, als hier, hunderte Kilometer von der Heimat entfernt, im Dreck zu verbluten. Bei allem militärischen Effekt  und aller politischen Notwendigkeit dieses Waffengangs, die auch gar nicht in Abrede gestellt werden sollen, ist dies die andere Seite der „glorreichen Tage von Aspern“: Hier starben innerhalb von 48 Stunden 50.000 Männer, Väter, Ehegatten, Söhne, für den Größenwahn eines korsischen Advokatensohnes.

Und, „nebenbei“, fast alle Einwohner und Einwohnerinnen Asperns.

Umso erstaunlicher, dass das Städtchen überlebte und sogar wieder zu einem gewissen Wohlstand heranwuchs, wie ein Bogen durch die Gemeinde, die 1905 an Wien kam, zeigt. 

Das Gegenstück zu dem von den Österreichern gehaltenen Aspern ist das nahegelegene Essling, seit 1938 ebenfalls Wiener Kastralgemeinde.

Meinen Fehler, die gut 3 Kilometer öder Landstraße zwischen Aspern und dem Esslinger Schüttkasten zu Fuß zurückzulegen, hätte ich fast bereut, ist es doch im wahrsten Sinne 5 vor 12, als ich ankommen. Die dort beherbergte kleine Ausstellung mit Zinnsoldaten-Schlachtendiorama ist sonntags geöffnet – traue nie dem Internet, das anderes besagt! - schließt aber um 12 Uhr mittags. Einen ganz herzlichen Dank an die freundliche Dame vom Museumsdienst, die mir zumindest noch eine kurze Besichtigung erlaubte!   

Während der Tage der Schlacht hatten sich hier, im zum nahen Schloss gehörigen Getreidespeicher, französische Soldaten festgesetzt, denen es gelang, den anrennenden Österreichern erfolgreich Paroli zu bieten. Ironie der Geschichte, oder besser: der Propaganda: Während die psychologisch wertvolle, im Gesamtkontext der napoleonischen Feldzüge aber militärisch marginale „Schlacht von Aspern“ ein fester Begriff in deutschen Geschichtsbüchern ist, ging dasselbe grauenvolle Gemetzel ob der historisch ebenso bedeutungslosen Verteidigung des  Schüttkastens als „Bataille d'Essling“ in die Analen ein. Erfolg ist eben immer eine Frage der Perspektive.

Das Essling nicht ganz so einseitig mit den Ereignissen von 1809 verbunden wird wie der Nachbarort, hat noch einen weiteren Grund: Das Örtchen ist ein Mekka des Jazz. Von hier stammt der Klarinettist Fatty George, bürgerlich Franz Georg Pressler (1927 - 1982) und hier wohnte der Pianist und Vibraphonist Bill Grah (1928 - 1996), beides Ikonen des europäischen Jazz. Ein schöner Gedanke, dass  hier eine Musikrichtung ein Zuhause gefunden hat, die wie keine andere für Frieden, Freiheit und Individualität steht.

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Unsere Tipps:

- Ein Muss ist der Besuch des Museum Aspern-Essling 1809 inklusive der Außenstelle im Schüttkasten. Und wenn man da ist, unbedingt die jeweilige Museumsaufsicht zu den Ausstellungsgegenständen und zur Historie befragen – man kann nur profitieren. Öffnungszeiten und aktuelle Informationen unter http://www.aspern-essling-1809.eu/

- Alles über den Jazz in Esslingen, inklusive der Informationen zu dem jährlich im August stattfindenden Festival, findet sich unter https://www.kulturfleckerl.at/

 

© Hartmut Schulz 2023

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