Romantik, Wein und Autoblech

Rund um und quer durch den Weinort Stammersdorf (21. Bezirk Floridsdorf)

Welch große Rolle Stammersdorf für Wien spielte – und spielt - mag man dem kleinen, ganz im Norden der Stadt gelegenen Dörfchen im ersten Moment gar nicht ansehen. Zumal jetzt, Anfang März im Corona-Jahr 2021, da die das Ortsbild prägenden Wirtshäuser und Buschenschänken witterungsbedingt und par ordre du mufti ihre Türen noch geschlossen halten.

Es scheint das ewige Schicksal dieser heute zum 21. Bezirk gehörenden Gemeinde zu sein, dass ihre Geschichte immer wieder von den Ereignissen um die ferne Stadt auf der anderen Seite der Donau bestimmt wurde, mit der sie doch, zumindest bis zur Eingemeindung im Jahre 1938, herzlich wenig zu tun hatte.

Geschuldet ist dieser Umstand der strategisch (un)günstigen Lage am Hang des Bisambergs. Wer sich aus Norden Wien näherte, der hatte von hier das erste Mal Blick auf die Residenzstadt. Und es näherten sich einige: 1477 die Ungarn des Matthias Corvinus, 1529 die Osmanen, 1619 die Böhmen unter Thurn, 1645 die Schweden unter Torstensson, 1683 erneut die Osmanen, 1703 die Kuruzzen, 1809 Napoleon. Dazwischen logierten hier immer wieder die Kaiserlichen selbst, die in vielem auch nicht besser hausten als die ungebetenen Gäste vom Balkan, aus Frankreich oder Preußen. Im Zweiten Weltkrieg waren auf den Hügeln Flakgeschütze positioniert, die die Stadt vor Luftangriffen schützen sollten. Kurz: Wer immer es auf Wien abgesehen hatte, nahm seinen Weg zuverlässig über Stammersdorf.

Dass die Einwohner den Ort nicht einfach irgendwann aufgaben – zusätzlich zu den wechselnden Truppen hätten sich die Pest-Epidemien 1679 und 1713 sowie der Stadtbrand von 1850 hierfür angeboten – ist dem größten Wirtschaftsfaktor des Gebiets geschuldet: dem Wein.

Zum einen lässt sich mit ihm vieles leichter ertragen. Zum anderen aber, und dies ist der ausschlaggebende Grund, wächst er in der Umgebung in solcher Menge und Qualität, dass kein Stammersdorfer Weinbauer sich hätte vorstellen können, seinen edlen Tropfen woanders anzubauen als just hier, am Südosthang des Bisambergs. (Vielleicht erklärt der Wein auch, warum keines der hier stationierten Heere es jemals geschafft hat, Wien zu erobern. Gemischter Satz und Zielgenauigkeit vertragen sich schlecht.)

Und so sind die Winzer bis heute geblieben, und ihre Weinkeller prägen das Ortsbild. Nicht ohne Erfolg, ca. ein Drittel des in Wien erzeugten Weins stammt von hier.

Bevor man aber allzu enge Bekanntschaft mit Gott Bacchus und seinem Gefolge von Wein, Gesang und Kopfweh macht, sollte man eine Runde durch den wirklich zauberhaften Stadtkern machen.

Als Ausgangspunkt eignet sich der Freiheitsplatz, zu Fuß binnen einiger Minuten von der Bim-Station Stammersdorf zu erreichen. Als man die 1908 in seiner Mitte die Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläumssäule errichtete – der greise Monarch war 60 Jahre im Amt und hatte mit „Freiheit“ weniger im Sinn denn je – hieß der Platz noch anders, die jetzige Namensgebung ist eine Hommage an die Ausrufung der Republik am 12. November 1918. Hätte er es erlebt, den alten Von-Gottes-Gnaden hätte vermutlich der Schlag ob dieses Affronts getroffen.

Von hier geht die Straße direkt auf den Dorfanger zu. An seinem hinteren Ende findet sich eine Figurengruppe der Jungfrau Maria nebst den Heiligen Donatus, Anna selbdritt, Josef und Florian. Die Skulpturen wurden 1775 errichtet und tragen die Inschrift: „Durch deinen Schlangen Tritt, Krieg Pest und Noth verhütt“. Aus heutiger Sicht bliebe da noch ein Stoßgebet gegen das Autoblech zu ergänzen.

Das Örtchen ist mit seinem alten Baubestand und der geradezu archetypisch barocken Kirche eigentlich wunderschön. Aber, vermutlich da in den Kellern Wein lagert und ergo kein Platz für Garagen ist, ist Stammersdorf zur Gänze zugeparkt. Freilich, das Problem wohin mit den ach-so-unentbehrlichen Vehikeln hat ganz Wien, nur: Hier zerstören die überall Stoßstange an Stoßstange aufgereihten Autos die Atmosphäre auf kaum zu rechtfertigende Art und Weise. Es ist dringend Abhilfe seitens der Gemeindeverwaltung nötig.

Gut, dass es Hang auf die vielen Hohlwege mit ihren romantischen Weinkellern gibt. Einsam ist man auch auf diesen Wegen nicht, der Bisamberg ist ein beliebtes Wandergebiet, aber das tut der Schönheit der Gegend keinen Abbruch. Straßenverkehr – in erträglichem Maße – herrscht fast nur auf der bekanntesten Straße, der Stammersdorfer Kellergasse am Ortsende. Hier reiht sich über den Kellern Buschenschank an Buschenschank. Parkplätze hingegen sind eher rar gesät – vermutlich, weil man nach einem feuchtfröhlichen Abend das Auto ohnehin besser stehenlässt.

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Meine Tipps:

- Der erste Tipp ist eigentlich eine Bitte: Nehmen Sie die Öffis, um hinzukommen. Sie werden ohnehin keinen freien Parkplatz finden. Es geht ganz einfach – U6 bis Floridsdorf, ab da (oder, wer es beschaulich mag, auch schon ab Schottenring) mit der 31 bis zur Endstation. Stammersdorf selbst kann man sich ohne Mühe erlaufen.

- Ansonsten, das gilt selbstverständlich, sobald die Gastronomie wieder geöffnet ist, sollte man sich einfach treiben lassen und sich dort auf ein Glas setzen, wo es einem grade gefällt. Eine „falsche Wahl“ gibt es eigentlich nicht, der lokale Wein ist überall gut. Eine Übersicht bietet die Internetseite https://www.stadtlandwirtschaft.wien/st%C3%BCrmischeTage-Stammersdorf .

© Hartmut Schulz 2023

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