Im grünen Prater

Idyll in der Leopoldstadt  (2. Bezirk)

Da haben die Wiener einen der schönsten Stadtparks der Welt – und sie rennen hindurch. Oder radeln. Oder skaten.

Wer an einem sonnigen Sonntagvormittag an der Station „Prater Hauptallee“ aus der Linie 1 steigt, muss den Eindruck gewinnen, die legendäre Wiener Gemütlichkeit sei eine Erfindung der Medien. Ringsum keucht, klappert und klingelt es, dass es eine Art hat und man sieht sich – beeindruckt oder belustigt, das liegt im Auge des Betrachters – einem Lindwurm aus neongelben, grasgrünen und hotpinken Leibchen gegenüber, der aus dutzenden hochroten Nüstern kleine Atemwölkchen in die morgentlich-frische Luft prustet. 

Wien ist sportlich. Wien ist dynamisch. Wien ist fit.

Wien versäumt etwas.

Denn der eigentliche Reiz dieses – zur Unterscheidung vom Riesenrad-und-Amüsierbuden-Prater „Grüner Prater“ genannten – Gebiets liegt abseits der Distanzmarken und Running Checkpoints in den Auwäldern links und rechts der Hauptallee.

Auf der Jesuitenwiese in der Nähe der Bim dominieren mit Fitnessgeräten und Rodelhügel noch Freizeitangebote das Bild des Parks. Durchaus passend, denn hier befand sich im 18. und 19. Jahrhundert der Exerzierplatz der Infanterie der Wiener Garnison – Leibesertüchtigung ist dieser Landschaft also geradezu eingeschrieben.

Aber spätestens, wenn man auf Höhe des Ernst-Happel-Stadions (das ein andermal Thema sein wird) rechts von der Hauptallee abbiegt und unversehens am Oberen Heustadlwasser steht, ist man im Recih von Mutter Natur. Zumindest an diesem Morgen liegt himmlische Ruhe über dem klaren Wasser, ich bin allein mit einigen Enten, die enttäuscht abdrehen, als sie sehen, dass ich keinen Futterbeutel dabei habe.

Es ist eine gezähmte Landschaft, die den Stadtwanderer in diesem Teil des Praters erwartet. Der Weg entlang dem alten Donauarm führt zwar stellenweise schon durch Wald, ist aber breit geführt und bequem zu gehen. Dennoch: Bei den Läufern scheint er wenig beliebt zu sein, jedenfalls bin ich nahezu allein hier. Nur gelegentlich kommt mir ein Jogger oder eine Fahrradfahrerin entgegen, es geht aber keineswegs so ambitioniert zu wie auf der Hauptallee. Dafür verbindlicher, wienerischer – fast jeder findet noch Atem für ein freundliches „Grüß Gott“. 

Untermalt wird die Idylle von einem fernen Rauschen. 

Leider entpuppt sich die Quelle des Geräuschs beim Näherkommen nicht als malerische Stromschnelle, wie etwa am Münchner Eisbach im Englischen Garten. Vielmehr hat man in den autogeilen 1970er Jahren mitten durch den bis dahin stillen Wald die Hochtrasse de A23 gelegt, ein umweltpolitischer Sündenfall, der leider nicht mehr rückgängig zu machen sein wird. Handelt es sich bei der sogenannten Südosttangente doch um die meistbefahrene Autobahn Österreichs.

Immerhin leistet der inzwischen installierte Schallschutz gute Arbeit und dämpft den Lärm auf ein erträgliches Maß. Optisch ist leider nichts zu retten, der Betonkoloss inmitten des Pratergrüns ist und bleibt ein Schandmal.

Dass der Mensch durchaus in Symbiose mit seiner Umgebung leben kann zeigt hingegen die Nutzung des Geländes im unteren Teil des Praters, wo - jenseits des klassizistischen Lusthauses am Ende der Hauptallee - Golfclub, Reitverein und Galopprennbahn ein ansprechendes Bild bieten. Die Koppeln, Pferdeställe und Reithallen vermitteln „Country-Feeling“ mitten im 2. Bezirk. Und wer Glück hat, kann am Vormittag die Ausfahrt der Droschkenpferde und -kutschen in Richtung innere Stadt beobachten.

Vor dem Zugang zum Golf-Club zweigt links ein schmaler Weg in den ursprünglichsten, authentischsten Teil des Grünen Praters ab.

Hier kann man sich noch vorstellen, warum das Gebiete einstmals Jagdrevier des Habsburgerhauses war. Auch wenn sich inzwischen kein Rotwild mehr im Wald tummelt – der letzte Hirsch wurde 1880 geschossen – hat dieser Abschnitt entlang des Lusthauswassers und des Mautnerwassers seinen wildromantischen Charme bewahrt. Die beiden Seen, ebenfalls Altarme der Donau vermitteln ein Gefühl dafür, wie die Umgebung Wiens vor der Donauregulierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgesehen hat.

Den krönenden Abschluss, die Einmündung der Gewässer in den breiten Hauptstrom, muss man sich allerdings dazuphantasieren. In der Realität endet der Prater hier prosaisch an einer Betontreppe, die hinauf zur trostlosen Freudenauer (!) Hafenstraße führt.

Grund genug, den Haken zurück in den Wald zu schlagen und den Weg zum Schlusspunkt des Spaziergangs zu nehmen, zum Wallfahrtskirchlein Maria Grün.

Hier zeigt sich an diesem Sonntag die andere, die empfindsame Seite der Wiener Seele. Im warmen Herbstsonnenlicht hat sich eine Menschenmenge neben der Kirche versammelt, Corona-bedingt findet der Gottesdienst im Freien statt. Niemand keucht vorbei, niemand ist in Eile, Körperliches zählt hier wenig. Ruhe liegt über diesem Fleckchen Erde.

Leise schleiche ich weiter. Ich will nicht stören.

- - - - - 

Meine Tipps:

- Wer gleich zu Beginn entschleunigen will, fährt nicht mit der U-Bahn sondern mit der Linie 1 zum Prater. Die Fahrt (z.B. von Karlsplatz) via Ring, Donaukanal, Landstraße und Salztorbrücke dauert eine gefühlte Ewigkeit, führt aber durch einen sehenswerten Teil der Stadt. 

- Ein „Parkspaziergang“ klingt überschaubar, aber man täusche sich nicht: der Prater hat 6 Millionen Quadratmeter! Wem das zu Fuß zu viel ist, der kann sich am Praterstern einen Segway mieten: https://segway.wien

 

© Hartmut Schulz 2023

Wir benötigen Ihre Zustimmung zum Laden der Übersetzungen

Wir nutzen einen Drittanbieter-Service, um den Inhalt der Website zu übersetzen, der möglicherweise Daten über Ihre Aktivitäten sammelt. Bitte prüfen Sie die Details und akzeptieren Sie den Dienst, um die Übersetzungen zu sehen.