Ein Garten mit vielen Aspekten

Wiens grüe Lunge, der Augarten (2. Bezirk Leopoldstadt, 20. Bezirk Brigittenau)

„Allen Menschen gewidmeter Erlustigungs-Ort von Ihrem Schaetzer“ steht in großen goldenen Lettern über dem Eingang. Sie stammen von Joseph II, der das bisher dem Kaiserhaus und dem hohen Adel vorbehaltene Gelände auf der Wolfsau inmitten des Donaustroms 1775 für die Allgemeinheit öffnete.

Diese Mischung aus aristokratisch-elitärer Herablassung und Volksnähe charakterisiert den Augarten bis heute. In jedem Element  bemerkenswert, verbinden sich die einzelnen Segmente dieser großzügig dimensionierten Anlage nicht, sondern bilden einen leicht dysfunktionales Konglomerat einzelner Funktionsbereiche – anders kann man es nicht nennen – die sich erst auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, dem einer Grünfläche, treffen. 

Wobei – auch diese Funktion einer grünen Lunge kann man in der eng bebauten Wiener Innenstadt gar nicht hoch genug bewerten. Darum sei an dieser Stelle bereits in aller Deutlichkeit gesagt: Gut, dass es den Augarten gibt! Lange lebe der Augarten!

Au-Gärten wäre allerdings die vermutlich treffendere Bezeichnung. Kommt man, wie die meisten Stadtwanderer, am südlichen Ende des 52 Hektar großen Gebiets, dem sogenannten Augartenspitz, an, so sieht man zunächst, auf zueinander und gegenüber der Öffentlichkeit scharf abgegrenzten Parzellen, Institutionen, die ein in erster Linie bildungsbürgerliches Publikum ansprechen: Schule und Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, das Filmarchiv Austria mit seinem stimmungsvollen Open Air Kino, und nicht zuletzt die Porzellanmanufaktur Augarten, deren exquisite Produkte qua Preis auch nur in den wenigsten Wiener Haushalten als Alltagsgeschirr auf dem Tisch stehen dürften. Das Unternehmen wurde 1923 im namensgebenden Schloss Augarten gegründet, das heute neben den Betriebsstätten auch ein Porzellanmuseum und Gastronomie beherbergt.

Diese vielfältig intellektuelle Nutzung des Areals steht durchaus in josephinischer Tradition. Der Sohn Maria Theresias, dessen kurioses Auftreten mit einer Mischung aus Gottesgnadentum und Zuchtmeister der Aufklärung seine bedeutende Rolle für die Entwicklung Österreichs zu einem modernen Staat bis heute überschattet, logierte häufig im Augarten und sorgte dafür, dass es gesittet zuging. Wem der Sinn nach derberen Späßen stand, war im Prater (den Wien auch Joseph II verdankt) besser aufgehoben.

Populär wurde dieser Abschnitt des Augartens dennoch. Unter anderem fanden hier seit 1782 die musikhistorisch bedeutenden „Augarten Konzerte“ statt, bei denen die Elite der österreichischen Musiker der Wiener Öffentlichkeit ihre neuesten Werke präsentierte, beginnend bei Mozart, über Beethoven und Schubert, bis zu sämtlichen Vertretern der Familie Strauss. 

Westlich dieses Bereichs schließt sich der große Barockgarten an – historisches Kernstück und, außer für Gartenhistoriker, Problemzone der ganzen Anlage. Es ist der älteste Barockgarten der Stadt, aber wer hier Vergleiche zu Schloss Schönbrunn oder gar zum Belvedere zieht, wird enttäuscht. Ausstattung und Blumenschmuck sind, freundlich ausgedrückt, stark reduziert. Und statt der Gloriette oder des Oberen Belvedere dominiert der monumentale südliche Flakturm die Sichtachse.

Ich habe nicht darauf geachtet, ob das Betreten des Rasens erlaubt ist. Bei der mörderischen Hitze an diesem Sonntag war auf jeden Fall nicht eine einzige Person auf diesem schattenlosen und staubigen Stück Gartenkunst unterwegs.

Das eigentliche Leben im Augarten scheint sich ohnehin auf dessen nördlichen Teil zu konzentrieren. 

Von der Brigittenauer Seite aus gibt sich der Park weitaus offener. Hier „blockieren“ kein MuTH und keine Schösser (in beiderlei Sinn) den Zugang, sondern das Familienbad und die Sportanlagen ziehen die umliegend wohnende Bevölkerung regelrecht in den Park hinein. Und so geht es hier auf den Wiesen rund um das barocke Stiftungskreuz (Schmidtkreuz) lebhaft zu – einzig ein wenig Gastronomie fehlt, zumindest bei über 30 Grad im Schatten. 

Apropos „Sportanlagen“. Auch wenn man Sport eher konsumiert als betreibt, sind die vier Bundesspielplätze, die grob die Fläche zwischen den beiden Flaktürmen einnehmen, einen Blick wert. Sie dienen den Wiener Schulen, soweit diese nicht über eigene Hallen oder Anlagen verfügen als Sportstätten, des Abends auch freien Gruppierungen. Schmuckstücke sind die Kabinenhäuschen aus den ersten Jahrzenten des 20ten Jahrhunderts.

Zum Schluss der Runde durch den Augarten, ganz im Osten und schon wieder auf der Achse der Palais, lockt eine Schiefertafel zum „Eingang ins Paradies“. Dahinter verbirgt sich der Versuch, das sogenannte Ambrosi-Areal zumindest gastronomisch wieder zum Leben zu erwecken. Am heutigen Sonntag scheint das Konzept aufzugehen, Café und Freibereich sind gut besucht.

Der Name „Ambrosi-Areal“ nimmt Bezug auf den Bildhauer Gustinus Ambrosi (1893 - 1975), einen der beliebtesten Künstler bei den Großkopferten der Zweite Republik, die ihm hier in den 50er Jahren ein eigenes Museum nebst Wohnhaus und Atelier spendierten. Im Gegenzug pflasterte er halb Österreich mit Denkmälern (in Wien stammen z.B. das Schubert-Denkmal in Lichtental und etliche Büsten am Heeresgeschichtlichen Museum von ihm) und polemisierte gegen die Kunst der Moderne.

Der Lauf der Zeit rächte sich gleich doppelt an ihm für sein ewiges Sudern: Sein Name ist inzwischen weitgehend vergessen, und nach seinem Tod dienten die Gebäude bis Mitte der 10er Jahre als Ausstellungsräume – für zeitgenössische Kunst.   

Heute sucht das Areal eine neue Nutzung, die Öffnung für die Gastronomie in diesem Jahr soll nur ein erster Schritt sein. Der Augarten bleibt also auch in Zukunft ein Ort des Wandels und der Vielfalt – man darf gespannt sein.

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Unsere Tipps:

- In direkter Nachbarschaft zu Sängerknaben, Filmarchiv und Porzellanmanufaktur findet sich die City Farm, ein urbanes Gartenbau-Projekt mit interessanten Vorträgen und der Möglichkeit der aktiven Teilnahme. Alle Informationen unter https://www.cityfarm.wien/.

- Die Sportareale im Nordteil werden zwar in erster Linie von Schulen genutzt, aber auch andere Vereine haben eine Chance, die schönen Plätze zu nutzen. Infos und Kontakte unter https://www.zssw.at/serviceteam/index.php.

- Schloss Augarten bietet allen, die Gastronomie im historischen Ambiente lieben, mit dem Sperling (https://www.sperling.wien) interessante Küche und einen erstklassigen Blick auf einen Teil (und zwar den Schöneren!) des barocken Parks. 

 

© Hartmut Schulz 2023

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