2. Bezirk, Leopoldstadt Stuwerviertel
Von der Mexikokirche zur Venediger Au
Es war einmal.
Es war einmal ein verrufenes Grätzel, direkt neben der funkelnden Welt des Praters. Es waren einmal lange Nächte in verrauchten Bars, überschminkte Bordsteinschwalben im Licht der abendlichen Laternen und dunkle Ecken, in denen Halbwelter ihre Drogen oder Waffen kaufte.
Es war einmal ein verrufenes Grätzel, direkt neben der funkelnden Welt des Praters. Es waren einmal lange Nächte in verrauchten Bars, überschminkte Bordsteinschwalben im Licht der abendlichen Laternen und dunkle Ecken, in denen Halbwelter ihre Drogen oder Waffen kaufte.
Das Stuwerviertel hatte einen eindeutigen, und zwar einen eindeutig schlechten Ruf im Wien. Hier war die rote Zone, Heimstatt von Prostitution und Kriminalität, Glücksspiel und Abzocke. Der Ruf hängt der Gegend zwischen Mexikokirche, Ausstellungsstraße und Venediger Au bis heute an – tatsächlich aber hat sich das Grätzel in den letzten Jahren stark gewandelt, getrieben durch die Gentrifizierung der innerstädtischen Bereiche, verstärkt durch die erschwinglichen Mietraum suchenden (…es war einmal) Studenten der nahen Wirtschaftsuniversität und durch den Umbau der Messe zum aseptischen Ausstellungsstandort. Und im Moment liegen hier die Wirtshäuser und Beisl im Sterben, und die Shisha-Bars stehen dank des seit kurzem gültigen ausnahmelosen Rauchverbots wohl auch vor dem Aus.
Eine zwiespältige Entwicklung also.
Der Rückzug des ältesten Gewerbes der Welt in die späte Nacht und in andere Gegenden der Stadt hat das Sicherheitsgefühl der Anwohner erhöht. Schusswaffen- und Alkoholverbot in der Venediger Au haben die Nächte ruhiger gemacht. Kinder können jetzt im Sand der Spielanlagen spielen, ohne in Spritzbestecke zu greifen. Noch fehlen Cafés und Restaurants, den dem Stadtteil ein neues Leben einhauchen könnten, aber diese werden kommen – die ersten Vorboten sind da. Bauzäune überall, es wird renoviert und aufgestockt. In wenigen Jahren wird dies vermutlich ein wunderbares Quartier für Familien der gehobenen Mittelschicht, für Helikoptereltern, SUV-Fahrer und Veganer-Kommunen sein. Schönes neues Stuwerviertel – Andreas Gabalier statt Falco.
Wer die Reste der alten Grätzel-Welt besuchen will, sollte sich also bald auf den Weg machen. Am besten tagsüber – da ist es garantiert ungefährlich hier. Als Einstieg eignet sich eines der ikonischen Gebäude Wiens: die monumentale Mexikokirche.
Die dominante Wirkung dieser Kirche hier am Donauufer kommt nicht von ungefähr. Vorbild des zwischen 1900 und 1910 durch den Architekten Victor Luntz errichteten Sakralbaus ist die Kirche Groß St. Martin, die neben dem berühmten Dom die Kölner Rheinfront beherrscht. Von der romanischen Wucht des Vorbildbaus ist allerdings im Äußeren der Franz-von-Assisi-Kirche (so der korrekte Name) wenig geblieben: die zahlreichen roten Dächer und Dächlein, bedingt durch einen verwinkelten Grundriss, rücken das Gebäude stark in Richtung Disneyland.
Umso mehr überrascht das Innere. Die äußere Unruhe weicht einem großen, ruhigen und majestätischen Innenraum. Hier gelingt der Rückgriff auf die Architektursprache der mittelalterlichen Kaiser, wenn auch auf Kosten der Intimität. Man merkt dem Raum an, dass er als Garnisonskirche geplant war – er ist ausgelegt auf Hundertschaften in prächtigen Uniformen, aufs Zeremonielle und Repräsentative. Hier sollte Gott von der donnernden Masse gelobt werden – Raum für ein individuelles Gebet muss man suchen.
Fündig wird man im nördlichen Querhaus, in der Kaiserin-Elisabeth-Gedächtniskapelle. Obwohl gleichzeitig mit dem restlichen Bau entstanden, spricht dieser Raum eine ganz andere Sprache. Allerdings auch wieder eine rheinische: die Kapelle ist eine Jugendstil-Adaption der Aachener Pfalzkapelle. Nicht ganz kitschfrei – aber gelungen und für sich den Besuch der Kirche wert.
Dass der Versuch, die Donaufront Wiens mit der Mexikokirche aufzuwerten, ein schwieriges Unterfangen und ein eher punktueller Erfolg war, sieht, wer von der Kirche aus dem Handelskai in Richtung Südosten folgt. Das Gebäude der DDSG und die anderen ufernahen Gebäude trennen die Stadt eher vom Strom, als dass sie ihn einbeziehen. Die schwierige Beziehung der Wiener zur unberechenbaren Donau wird hier städtebaulich greifbar.
Auch die stadteinwärts zeigende Seite der Straße bietet wenig Erfreuliches. Zwischen Wachaustraße und Kafkastraße erstreckt sich ein Gemeindebau, anscheinend aus den 70er oder 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Der riesige Komplex ist von erbarmungsloser Scheußlichkeit, die aufeinandergetürmten Waben dieser Wohnmaschine erinnern in ihrer brachialen Beton-Seeligkeit an Albtraum-Visionen aus Endzeitfilmen. Sympathisch – und ein wenig Schildbürger-lustig – ist nur die Art, mit der die Einwohner dieser Tristesse ein Schnippchen schlagen: auf den Balkons blühen ganze Beete von bunten Kunstblumen, und in den Fenstern wehen Spitzengardinchen im Wiener Wind. Die Fähigkeit des Menschen, sich selbst in der widrigsten Umgebung ein wohnliches Heim zu schaffen, ist wahrhaft erstaunlich!
Richtung Vorgartenstraße wird die Architektur wieder erträglicher. Die Neubauten wirken noch etwas seelenlos, haben aber menschliches Maß und an der Ausstellungsstraße, die man hier auf der Höhe der Messe erreicht, hat das neue Messecarree hat sogar einen gewissen Chick. Die eigentliche Messe weniger, auch wenn der Messeturm mit seiner roten Spirale zumindest auffällig ist. Die allzu-glatte Architektur der übrigen Gebäude scheint auch den Messeverantwortlichen aufgefallen zu sein, weshalb derzeit ein Tiroler (?) Bauerdorf-Weihnachtsmarkt mitten ins Gelände gepflastert wird – eine geradezu aberwitzige Traditions-Mimikry inmitten dieser Hightech-Umgebung.
Grund genug, das Messegelände im wahrsten Sinne des Wortes links liegen zu lassen und durch die ursprünglichen (authentischen) Grätzelgassen zum Ilgplatz und dem an ihm gelegenen Circus- und Clownmuseum Wien zu gehen.
In diesem aus einer Privatsammlung hervorgegangenen Museum lebt die alte Zirkus- und Schausteller-Tradition der Leopoldstadt noch einmal auf. Was heute kaum noch jemand weiß: in diesem Bezirk standen einst die weltberühmten Zirkusbauten Gymnasticus, Renz, Busch und Zentral, hier schlug das Herz des europäischen Zirkus. Fotos, Plakate, Requisiten sowie eine große Menge originaler Kostüme erinnern im Museum an diese große Zeit. Wer mehr wissen will: im Rahmen von Führungen und von Veranstaltungen kann man tief in diese Welt aus Magie, Poesie und Illusion eintauchen.
Von Museum aus geht es die Obermüllner Straße hinunter. Rechterhand erinnern der Safari-Club und das Pam-Pam an die grade noch gegenwärtige Fast-Vergangenheit des Stuwerviertels, während man sich weiter durch das Grätzel in Richtung Schlusspunkt Venediger Au mäandert.
Heute ist sie eine durchaus ansehnliche, aber wenig spektakuläre Grünfläche am Praterstern mit Sportanlagen, Kinderspielplätzen und einem Hort. Dass sich der Wurstelprater bis zur Zerstörung 1945 bis hier erstreckte, daran erinnert nichts mehr. Hier gilt jetzt schon, was für das verruchte, sündige Stuwerviertel wohl auch bald gelten wird: es war einmal…
(Stadtspaziergang 02.11.2019)
Meine Tipps:
Die Kaiserin-Elisabeth-Gedächtniskapelle in der Mexikokirche ist einer der schönsten Jugendstil-Orte Wiens. Allerdings ist die Kirche nur selten geöffnet. Zeiten unter https://www.erzdioezese-wien.at/wien-donaustadt
Für alle, die die bunte Welt des Zirkus und vor allem Clowns lieben, ist das Circus- und Clownmuseum (www.circus-clownmuseum.at) ein absolutes Muss. Neben der Ausstellung gibt es hier auch jede Menge Live-Veranstaltungen. Ein besonderer Tipp: Kinder-Aufführungen mit Karo & Karoline. Hinter Karo verbirgt sich nämlich Museumsdirektor Robert Kaldy – Karo, der nicht nur ein hervorragender Zauberer ist, sondern dem man auch gleich Löcher zur spannenden Ausstellung in den Bauch fragen darf.
Die Kaiserin-Elisabeth-Gedächtniskapelle in der Mexikokirche ist einer der schönsten Jugendstil-Orte Wiens. Allerdings ist die Kirche nur selten geöffnet. Zeiten unter https://www.erzdioezese-wien.at/wien-donaustadt
Für alle, die die bunte Welt des Zirkus und vor allem Clowns lieben, ist das Circus- und Clownmuseum (www.circus-clownmuseum.at) ein absolutes Muss. Neben der Ausstellung gibt es hier auch jede Menge Live-Veranstaltungen. Ein besonderer Tipp: Kinder-Aufführungen mit Karo & Karoline. Hinter Karo verbirgt sich nämlich Museumsdirektor Robert Kaldy – Karo, der nicht nur ein hervorragender Zauberer ist, sondern dem man auch gleich Löcher zur spannenden Ausstellung in den Bauch fragen darf.