Der steile Weg zum Lottoglück

Zur Habsburgerwarte auf dem Hermannskogel (19. Bezirk Döbling)

Am heutigen Sonntag steht ein Stadtspaziergang von alpinen Dimensionen an, führt der Weg doch auf einen der „Seven Summits“ Österreichs. Also: Festes Schuhwerk ist ein Muss, auf eine dicke Jacke verzichte ich allerdings aufgrund des spätsommerlich warmen Wetters.

Ebenso auf einen Eispickel, denn der Gipfel, den es heute zu bezwingen gilt, liegt mit seinen 542 Metern deutlich unterhalb jedweder Schneegrenze. Dass der Hermannskogel sich dennoch in einer Reihe mit dem Großglockner, dem Großvenediger und dem Piz Buin fühlen darf, liegt an der Systematik hinter der Bezeichnung „Seven Summits“, enthält die erlauchte Liste doch jeweils den höchsten Berg eines Bundeslandes – und in Wien, soviel ist richtig, ist diese bewaldete Hügelkuppe nun einmal dem Himmel am nächsten.

Dass dies die Anwohner auch so sehen, verrät bereits der Name der ersten Station des Wegs hinauf aus dem bezaubernden alten Simmeringer Ortskern: Der Gspöttgraben endet am „Häuserl am Himmel“ und mündet folgerichtig auch in die Himmelstraße. Diese führt allerdings nicht weit, sondern endet nach wenigen hundert Metern in der Weiseligkeit der Cobenzl-Wirtschaften. 

Ich biege allerdings schon vorher links ab Richtung Latisberg – und begehe den ersten schweren Fehler. An der Spielwiese verliere ich die Wegmarkierung aus den Augen und entscheide mich, anstatt dem bequemen Pfad am Waldessaum zu folgen, für den Weg den Hügel hinauf. Was kommod beginnt, bringt mich nach einiger Zeit doch gehörig ins Schwitzen, denn der immer schmaler werdende Trail führt überraschend steil bergauf. Gott sei Dank haben wir seit Tagen trockenes Wetter, bei Regen wäre eine wenig heroische Rutschpartie auf dem Hosenboden zurück zum Ausgangspunkt vorprogrammiert. 

Immerhin ist man hier allein mit Eiche, Pilz und Hagebutte, keine Wandergruppe und kein Mountainbiker stören das Idyll. Nur hin und wieder raschelt es im Gebüsch, und ich bin mir ziemlich sicher, hoch oben in den Zweigen zwei Eichhörnchen zu hören, die etwas von „depperter Piefke“ fiepen. „achkatzln gschissene“ murmele ich leise vor mich hin. Klappt nach 3 ½ Jahren in Wien schon ganz gut…

Hinter der Bergkuppe treffe ich gottseidank wieder auf den Wanderweg und nach kurzer Strecke auch auf die Kreuzeiche, die ich mir als Etappenpunkt vorgemerkt habe. Den namensgebenden Eichenbaum gibt es zwar nicht mehr, aber immerhin ist das Kreuz – Rotes Kreuz genannt – noch da, und anscheinend frisch aufpoliert, so golden leuchtet die Christusfigur im Sonnenlicht.

In seinem Rücken führt der Weg weiter, parallel zur tiefer liegenden Höhenstraße, hinüber zum Fuß des Hermannskogels. 

An seinem Fuße liegt die Jägerwiese mit dem Gasthaus „Zum Agnesbrünnl“. Als ich es erreiche ist es gegen Mittag und Terrasse und Wirtsgarten sind gut gefüllt. Über das Gekreische der spielenden Kinder (keine Kritik – Kinder dürfen, ja, sollen laut sein) und das Geklapper der Teller zittert ein älterer Herr grade den unvermeidlichen „Dritten Mann“. Kurz – die Melange aus warm-duftender Wiese, bunten Sonnenschirmen, Pferden, Eseln, Enten, Hühnern, Zitherspieler, Schnitzel, Apfelstrudel und glücklichen älteren Damen beiderlei Geschlechts ist Wienerwald-Kitsch reinster Ausprägung. Und somit ganz wunderbar.

Vor dem Anstieg lohnt sich noch der kurze Abstecher rechts hinter dem Hof den Trampelpfad hinunter zum eigentlichen Agnesbrünnl, aus dem in stiller Waldeinsamkeit kein Zwettler oder Andechser tropfen, sondern nur klares Bergwasser. Entsprechend ruhig ist es hier. 

Die Anlage selbst ist auf der ersten Blick unspektakulär, aber Geschichte und Sage haben an diesem Ort einige kuriose Spuren hinterlassen. Wobei „Ort“ durchaus wörtlich zu nehmen ist, lag dieser Quell doch nicht immer so abgelegen. Bis ins 15te Jahrhundert stand hier vermutlich die verschwundene Siedlung Chogelbrunn, sicher aber lagen hier Weingärten. Auch diese sind nicht mehr da. Stattdessen hängen in den Zweigen der Bäume über dem Brunnenbecken Federspiele und kleine Votivgaben, die wohl naturreligiöse Menschen hier deponiert haben, soll hier doch in vorchristlicher Zeit ein Kultplatz der Göttin Freya gewesen sein – was einigermaßen zweifelhaft ist. 

Einem moderneren Gott, dem schöden Mammon, wurde hier hingegen nachweislich gehuldigt: Angeblich erscheinen am 28. Jänner – dem Agnestag – und am 28. August – dem Tag des Hl. Johannes – die aktuellen Lottozahlen am Grunde des Beckens, was zu einigem Ansturm führt(e).

Ich bin eine gute Woche zu spät und genieße stattdessen nur den Blick in die blaue Ferne, ehe mich auf den letzten Teil der Strecke mache, zur Habsburgwarte auf dem höchsten Punkt des Berges.

Der breite Weg führt hinter der Jägerwiese in bequemen zwanzig Minuten hinauf. Einen kleinen Abzweig gleich zu Beginn lasse ich eingedenk des Latisbergs wohlweislich links liege, nicht ahnend, dass ich noch meine Erfahrung mit ihm machen werde. 

Wer erwartet, von Wiens höchstem Berg aus einen prächtigen Blick in die Landschaft zu haben, sieht sich enttäuscht. Die Kuppe ist baumbestanden und man muss tatsächlich den Aussichtsturm erklimmen, um einen Rundblick über den Wienerwald zu bekommen – was allerdings nur an den Wochenenden während der Sommermonate möglich ist. Dann allerdings ist die Aussicht herrlich – wenn es nicht grade diesig ist, wie heute. Pech gehabt…

Immerhin ist der Standort historisch. Hier oben auf der Terrasse befindet sich der „Fundamentalpunkt der österreichischen Landvermessung“. Ich muss googeln und finde heraus: Ausgehend von diesem Punkt wurde zum Ende des 19ten Jahrhunderts Österreich kartografiert. Respekt.

Nach diesem – im wahrsten Sinne des Wortes – Höhepunkt der Wanderung geht der Weg zurück zum Cobenzl. Am Turm weist ein Wegzeiger auf eine alternative Route hinunter zur Jägerwiese, und da ich den Spazierweg ja schon kenne, folge  ich dem Schild, ohne dem Zusatz „steil“ weiter Beachtung zu schenken.

Als ich zwanzig Minuten später mit schmerzenden Knien an der kleinen Abzweigung, die ich auf dem Weg nach oben ignoriert habe, wieder auf dem Hauptwerg lande, habe ich zumindest eines gelernt: Wiens höchster Berg hat durchaus seine Herausforderungen.

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Meine Tipps:

- Der Alpenverein (!) bietet geführte Wanderungen rund um den Hermannskogel an. Aktuelle Termine am besten unter https://alpenverein.wien/lv-wien/programm/detailsuche.php suchen.

- Die Habsburgwarte ist geöffnet von Anfang April bis Ende Oktober bei schönem Wetter an Samstagen von 13:00-18:00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 10:00-17:00 Uhr. Unbedingt eine Unterhaltung mit dem „Turmwärter“ beginnen: österreichische Geografie in a nutshell!

 

© Hartmut Schulz 2023

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