Dort auf der Höhe, hier unten im Tal

Klassenkampf schon im Namen: Hohe Warte und Karl-Marx-Hof (19. Bezirk Döbling)

Es ist, als wäre man zu Besuch in Michael Endes Unendlicher Geschichte oder in Cornelia Funkes Tintenherz. Vollgepfropfte Räume im Halbschatten, wild übereinandergeworfene Exponate aus allen Zeiten, Seltenes und Triviales wild durcheinander, und mittendrin der alte Archivar, der alles kennt, alles weiß und zu allem eine Geschichte zu erzählen hat.

Die Wiener Bezirksmuseen gehorchen ihren ganz eigenen Regeln, und das in Döbling – hier beginnt mein heutiger Stadtspaziergang - bildet keine Ausnahme. Was vermutlich jedem diplomierten Museumspädagogen schlaflose Nächte bereitet, für mich ist es das Schönste, das Wiens Museumslandschaft zu bieten hat: Dieses Kaleidoskop bunt zusammengewürfelter Dinge, liebevoll von Hand oder noch mit Schreibmaschine etikettiert, diese Stadtpanoramen aus Streichhölzern, von lokalen Enthusiasten an langen Winterabenden liebevoll zusammengebastelt, und das anarchische Chaos von Fotografien, Gouachen, Ölbildern und Filzstiftkritzeleien, dessen zusammenhängendes Narrativ man vergebens sucht und von dem doch jedes einzelne einen ganzen Roman zu erzählen vermag.   

Und wenn dann noch der Hüter der Schätze mit listigem Lächeln nach seinem Schlüsselbund fingert und verschlossene Türen zu weiteren Räumen und Schätzen öffnet – dann ist das wie Geschenkeauspacken auf dem Kindergeburtstag. Schöner kann ein Museumsbesuch nicht sein.

Heute bieten die sich öffnenden Türen Zugang zu einer Sehenswürdigkeit ganz besonderer Art. Das Museum nutzt einen Seitentrakt der Villa Wertheimstein, eines Industriellen-Prachtbaus des 19ten Jahrhunderts. Die üppig ausgestatteten Räumlichkeiten, in denen Josephine von Wertheimstein und später ihre Tochter Franziska einen bedeutsamen Salon hielten, sind im Original erhalten. Ein ganz besonderes Juwel: Das Treppenhaus im damals angesagten pompejanischen Stil, dekoriert u.a. von dem damals überaus populären Moritz von Schwind, der zum Beispiel auch das heute nach ihm benannte Foyer der Staatsoper gestaltete.

Dass die Villa beileibe nicht der einzige Prachtbau auf dem Weg die Hohe Warte hinaus ist, ist nicht zu übersehen. Angefangen von der „Chinesen-Villa“ an der Ecke Ruthgasse – einem überaus ärgerlichen Beispiel für den fahrlässigen Umgang der Stadt mit ihrem historischen Erbe – ziehen sich die Nobelvillen den Hügel hinaus. Wer hier wohnte, wer hier wohnt, hat es geschafft, der (oder die) gehört zu den oberen Zehntausend in der Stadt.

Uns Normalsterblichen bleibt aber immerhin der Weg in den kleinen, aber feinen Setagayapark, einen japanischen Garten, den der gleichnamige Tokioter Stadtteil seinem Partnerbezirk Döbling zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts stiftete. "Furomon" steht auf eine Stele am Eingang eingraviert, und in der Tat ist der Park ein kleines Paradies abseits des Verkehrslärms der nahen Straße.

Dass die Kuppe der Hohen Warte nicht Nobel-Wohngebiet ist, sondern der Forschung und Lehre gewidmet, ist kaiserlichem Edikt zu verdanken. 1872 siedelte Kaiser Franz Joseph hier die (heutige) Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik an, und so krönt heute keine Industriellenvilla die Höhe, sondern der charakteristische Radarturm aus dem Jahr 1973.

Ganz in seiner Nähe habe ich Glück: Das Tor zu einem Stück Wiesen-Wildnis steht offen, wohl, weil eine Schul- oder Theaterklasse an diesem sonnigen Samstagnachmittag ausgerechnet hier für eine Theateraufführung probt. Hier, nur wenig oberhalb des Hohe-Warte-Stadions, tut sich ein eindrucksvoller Blick auf die Brigittenau und die Donaustadt auf. Tagsüber schon imposant, muss der Eindruck von hier nächtens atemberaubend sein. Erstaunlich eigentlich, dass es weder eine Jausenstation noch einen Schanigarten gibt.

„Von hier an geht’s bergab.“

Dass hinter diesem trivialen Sager mehr steckt, als man zunächst vermeint, erlebt, wer von der Hohen Warte den sogenannten „Aussichtsweg“ hügelab nimmt. Das soziale Gefälle, dass man auf den wenig dutzend Metern Höhenunterschied durchwandert, könnte auffälliger nicht sein.

Steht oben eine noble Villa neben der anderen, werden die Häuser bescheidener, schließlich ärmlicher, je tiefer man in Richtung Heiligenstädter Straße hinunter kommt. Dass es sich auch hier gut leben lässt, ist der sozialen Wohnungspolitik der Stadt im 20ten Jahrhundert zu verdanken. Und passend bildet eines der wichtigsten Symbole des Roten Wien den Schlusspunkt dieses Stadtspaziergangs: der Karl-Marx-Hof von 1930.

Über mehr als einen Kilometer erstreckt sich die gigantische Wohnanlage zwischen Straße und Bahngleisen, über 5.000 Bewohnern bietet die Anlage Unterkunft. Dass bei solchen Dimensionen nicht jedes menschliche Maß verloren geht, ist dem genialen Bauplan des Otto-Wagner-Schülers Karl Ehn zu verdanken.

Trotzdem: Zwischen diesem massigen Bau, konzipiert für Tausende und den filigranen Villen oben auf dem Hügel, in denen einsame ältere Damen sich ihren nachmittäglichen Tee servieren lassen, klafft auch heute noch eine riesige, durch nichts zu rechtfertigende soziale Lücke. „Die da oben“ – „Wir hier unten.“ Das ist bis heute Wiener Realität.

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Unsere Tipps:

Das Bezirksmuseum Döbling (https://www.bezirksmuseum.at/de/bezirksmuseum_19/bezirksmuseum/) ist geöffnet Mittwoch 9.30 Uhr - 11.30 Uhr und Samstag 15.00 Uhr - 17.00 Uhr. Unbedingt das Angebot, sich das Museum zeigen zu lassen, annehmen!

Wer das andere Ende der sozialen Leiter besuchen will: der Karl-Marx-Hof kann ebenfalls besichtigt werden http://dasrotewien-waschsalon.at/karl-marx-hof

Wenn es zeitlich passt und man Glück at, dass geöffnet ist, bietet das Fairplay am Hohe Warte Station gute Küche: https://www.fairplay1190.wien/

 

© Hartmut Schulz 2023

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