19. Bezirk, Döbling
Straßen in den Himmel
Am 24. April 1854 feiern Kaiser Franz Joseph und Herzogin Elisabeth in Bayern in der Augustinerkirche Hochzeit. Die Wiener haben sich mit der nicht standesgemäßen Braut ihres jungen Souveräns arrangiert, die Stadt putzt sich heraus. Der geadelte Tabaktrafikant und Losverkäufer Johann Carl von Sothen möchte ein Zeichen setzen und lässt in Sievering auf seinem Gut „Am Himmel“ – der Name könnte kaum passender sein – die Sisi-Kapelle erbauen, Wiens erstes neugotisches Gebäude.
So eindrucksvoll diese Geste war – Sothen selbst war eine zwiespältige Figur, der seinen immensen Reichtum durchaus auch kriminellen Machenschaften zu verdanken hatte. So ließ er sich aus Brünn die gezogenen Lottozahlen per Brieftaube schicken. Da in Wien der Annahmeschluss für das Lotto nach der Ziehung im fernen Brünn lag (es gab ja noch kein Telefon) gewann er eines um das andere Mal und ergaunerte sich so ein Millionenvermögen. 1881 war Schluss damit, ein Beteiligter an diesem Coup, der drohte in auffliegen zu lassen und dem Sothen im Gegenzuge mit der Polizei im Haus stand, erschoss den kriminellen Freiherrn. Er wurde in der Gruft der Sisi-Kapelle bestattet.
So schön die Kapelle ist: sie liegt abgelegen im Wald. Und so kann es nicht verwundern, dass sie bis in die 2000er Jahr verfiel, zumal sie im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt worden war. Erst 2002 erwarb der Verein „Kuratorium Wald“ den Bau, renovierte das Gebäude und wandelte es in einen Veranstaltungsort um. Heute finden dort kulturelle Veranstaltungen, vor allem aber Hochzeiten und Jubiläumsfeiern statt.
Viel zu sehen gibt es hier nicht, aber die Kapelle ist der ideale Ausgangspunkt für einen längeren Stadtspaziergang durch – in groben Zügen – Sievering und einen Teil von Grinzing.
Und zumindest die Straßennamen sind romantisch: von der Kapelle geht es über den Spielplatz der Caritas auf die Bellevuestraße, die ihrem Namen „schöner Blick“ tatsächlich alle Ehre macht: Weingärten rechter Hand und immer wieder ein Blick auf das fern im Tal liegende Wien und auf die gegenüberliegenden Höhenzüge. Ein Glas G‘Spritzter im Buschenschank „Hütte am Bellevue“ käme bei der aktuellen Hitze grade recht, aber leider ist das Lokal unter der Woche geschlossen. Ich werde wohl am Wochenende noch einmal herkommen.
Weiter also und den Weg hinauf zur Bellevuewiese. An Wochenenden gesteckt voll mit Ausflüglern mit oder ohne Picknickkorb, liegt sie an diesem Spätnachmittag fast verlassen da. Aber immerhin: der Blick auf die Stadt ist beeindruckend. Mindestens so schön ist aber auch der Blick in die Gegenrichtung, auf die Wiese selbst mit ihren romantischen Baumgruppen vor dem tiefblauen Nachmittagshimmel. Wie gut es sich hier träumen lässt, daran erinnert die aufgestellt Siegmund-Freud-Stele, an das Jahr 1895 erinnert, in dem sich just auf dieser Wiese "dem Dr. Sigmund Freud das Geheimnis des Traumes enthüllte." Es spricht für die Schönheit dieses Fleckchens Erde, dass es die Traumdeutung war, zu der Freud hier inspiriert wurde. Wenn es seine Thesen zum Vatermord gewesen wären: ob man ihm auch dann eine Stele errichtet hätte? Ich bezweifle es.
Über den dahinterliegenden Parkplatz geht es auf eine Straße mit ebenfalls vielversprechendem Namen: die Himmelsstraße. Zumindest finanziell scheinen die Bewohner dieses Winkels zwischen Grinzing und Sievering dem Himmel tatsächlich nahe zu sein, die Gebäude, an denen man talab vorbeiläuft sind – vorsichtig ausgedrückt – beeindruckend. Teils sind es eher kleine Palais als Vorstadtvillen, und die Anzahl von Überwachungskameras vor den einzelnen Gebäuden lässt darauf schließen, dass es nicht der verarmte Landadel ist, der hier wohnt, sondern die aktuelle Upper Class.
Es sei ihnen gegönnt, zumal der ewige Gleichmacher, Gevatter Tod, schon wenige hundert Meter weiter auf uns alle, arm wie reich, wartet: romantisch zwischen Siedlung und Weinbergen liegt der Grinzinger Friedhof. Hier liegen sie alle beieinander, der unbekannte Heurigenwirt und der große Gustav Mahler, die kleine Buchhändlerin und der unsterbliche (nun, eben doch nicht) Thomas Bernhard. Berühmt neben unbekannt, arm neben reich.
Schön zumindest haben sie es alle hier, in ihrem Nachleben. Die Lage des Friedhofs mit dem Blick in die Hügel auf der einen Seite und auf Wien hinunter auf der anderen könnte exklusiver kaum sein. Und um das ganze Postkartenbild abzurunden, komplettiert die hinter dem Friedhof gelegene Kirche am Kaasgraben das Wiener Grätzelidyll.
Wenn auch eines unter falscher Flagge: die Kirche, die so barock daherkommt, stammt aus dem Jahr 1910! Aber eindrucksvoll ist das auf einem kleinen Hügel gelegene Bauwerk mit seiner monumentalen Treppenanlage allemal.
Von hier aus geht es durch die angrenzenden Straßen: gepflegte Wohnhäuser für das gehobene Bürgertum, nicht mehr ganz so beeindruckend wie oben in der Himmelsstraße, aber es wohnt sich auch hier ruhig und angenehm. Sehenswertes aber gibt es erst wieder an der Grinzinger Allee, im Gemeindebau mit den Hausnummern 54 bis 76: im Innenhof erwartet einen der Affenbrunnen mit den humorvollen Tierfiguren von Hubert Wilfan.
Überhaupt ist die Gegend, wie so viele Straßenzüge in Wien, skulpturenreich: ebenfalls an der Grinzinger Allee, an der Ecke Aslangasse steht die abstrakte Stahlskulptur von Herbert Schwarz, die ein wenig aussieht, als wäre hier ein Raumschiffteil aus Independence Day in die Döblinger Erde eingeschlagen.
Und noch einige hundert Meter weiter, wenn man den schönen Baubestand der Daringergasse hinter sich gelassen und die Gemeindebauten in der Börnergasse erreicht hat, lümmeln sich vier Pinguine von Walter Auer in der frühen Abendsonne.
Am Ende der Gasse geht es dann rechts ab, und die Bebauung wird wieder dünner, bis man, vorbei am Sieveringer Friedhof, das Endziel dieser Wanderung erreicht: den Wasserbehälter Hackenberg.
Was so profan klingt entpuppt sich beim Näherkommen als romantische Märchenkulisse. Ebenfalls 1910 gebaut, ist das Gebäude eigentlich ein reiner Funktionsbau der II. Wiener Hochquellwasserleitung. Aber die Architekten haben daraus einen indischen Märchenpavillion geschaffen. Im Abendlicht, über dem freien Feld hinter dem Bauwerk, könnte hier die finale Szene einer Bollywood-Schnulze spielen, in der die einsame Prinzessin endlich durch ihren Märchenprinzen erlöst wird. Ritt in den Sieveringer Sonnenuntergang inklusive.
(Stadtspaziergang 27.06.2019)
Meine Tipps:
Am Wochenende in den Buschenschank „Hütte am Bellevue“, ein wunderbarer Ort, um die Seele baumeln zu lassen. Öffnungszeiten und Infos unter http://burner-wein.at
Wer einen Nachmittag auf der Bellevuewiese stielecht begehen will, sollte Freuds „Die Traumdeutung“ im Gepäck haben. Immerhin handelt es sich um eines der den meistgelesenen und einflussreichsten Büchern des 20. Jahrhunderts.
Auch am Ende des Spaziergang wartet ein besuchenswertes Lokal: das Schutzhaus Hackenberg, nur wenige Meter hinter dem Wasserbehälter. (https://schutzhaushackenberg.at)
Am Wochenende in den Buschenschank „Hütte am Bellevue“, ein wunderbarer Ort, um die Seele baumeln zu lassen. Öffnungszeiten und Infos unter http://burner-wein.at
Wer einen Nachmittag auf der Bellevuewiese stielecht begehen will, sollte Freuds „Die Traumdeutung“ im Gepäck haben. Immerhin handelt es sich um eines der den meistgelesenen und einflussreichsten Büchern des 20. Jahrhunderts.
Auch am Ende des Spaziergang wartet ein besuchenswertes Lokal: das Schutzhaus Hackenberg, nur wenige Meter hinter dem Wasserbehälter. (https://schutzhaushackenberg.at)