19. Bezirk, Döbling
Der schönste Blick auf Wien
Wo, von Heiligenstadt kommend, der 38er endet, ist ein wenig Glückssache (gut, man kann auch auf den Busplan schauen und versuchen, die Farb- und Kästchenlegende zu verstehen): aber zumindest bis zur Wagenwiese fahren sie alle. Und wer hie aussteigt und den restlichen Anstieg bis zum eigentlichen Ausgangspunkt dieses Spaziergangs am Cobenzl zu Fuß zurücklegt, befindet sich im schönsten frühherbstlichen Wienerwald. Man sieht deutlich, dass hier selten Leute anzutreffen sind, aber die Pfade, die in Abkürzungen dem Fahrweg folgen, sind zauberhaft. Man sollte allerdings keine Probleme mit recht steilen Anstiegen haben.
Gut zu Fuß sollte man ohnehin sein, wenn man den Waldweg zum Kahlenberg und zum Leopoldsberg nehmen will. Herausfordernd ist der Pfad nicht, aber es geht über längere Strecken bergauf und teilweise bietet der Verlauf wenig Schatten. Vom Cobenzl ist das erste Etappenziel gut zu sehen, der Panoramablick ist prächtig.
Zwischen dem etwas unmotiviert in die Landschaft schauenden Karl-Lueger-Denkmal und der Terrasse, auf der ehemals das Schlosshotel Cobenzl stand, geht es in den Wald. Der Weg führt zumeist auf dem Kamm entlang, durch die Bäume kann man linkerhand gelegentlich einen Blick auf die Ausläufer von Klosterneuburg werfen. Schön ist es hier und, zumindest unter der Woche, ruhig. Erst wenn man sich der Höhenstrasse nähert, hört man wieder den Autoverkehr zum Kahlenberg hinauf.
Man kreuzt die Straße und hat nach wenigen Metern den ersten Zielpunkt erreicht: den Sender Kahlenberg und die danebenstehende Kronprinzessin-Stefanie-Warte. Beide Gebäude zusammen sind ein bedeutendes Denkmal der Österreichischen Rundfunkgeschichte.
Die Warte, ein 22 Meter hoher Aussichtsturm, wurde 1887 am Endpunkt der damals noch existierenden Zahnradbahn errichtet. Stifterin – und damit Namensgeberin – war Kronprinzessin Stephanie, die unglückliche Gemahlin von Kronprinz Rudolf. Die Gegend war bei den Damen des damaligen Kaiserhauses ohnehin beliebt, Stefanies Schwiegermutter Sisi war häufig zu Pferd oder zu Fuß hier unterwegs. Dass die Entfernung zur immerhin 7 km entfernten Hofburg und den ungeliebten Ehemännern dabei eine Rolle spielte, kann für Kaiserin Elisabeth als Faktum gelten. Stefanie, deren Mann sie fortwährend betrog, kann man nur mutmaßen…
Bedeutung erlangte die Kronprinzessin-Stefanie-Warte aber im Jahr 1898, als das Marine-Technische-Comité der k. u. k. Kriegsmarine (Marine? Hier?) hier die ersten Versuche mit drahtloser Telegrafie (der Email der damaligen Zeit) durchführte. Man kommunizierte mit dem Wiener Rathausturm und dem Südturm der Votivkirche – atemberaubende Entfernungen für die damalige Zeit.
Heute dient der Turm wieder seinem eigentlichen Zweck, die Kommunikationsfunktion hat der 1974 errichtet Sendemast übernommen. Seine Sendleistung reicht bis in die Steiermark, vor allem versorgt er aber natürlich Wien mit Rundfunk- und Mobilfunksignalen.
Von der Kuppe des Kahlenbergs geht es nur wenige Schritte weiter durch den Wald und man erreicht an der Kaiserin-Elisabeth-Ruhe Wiens wohl unbekanntestes und eigenartigstes Sisi-Denkmal. Ob die Kaiserin hier jemals eine Ruhepause eingelegt hat, weiß man nämlich nicht, zudem ist es einer der wenigen Flecken des gesamten Spaziergangs, auf dem man keinerlei Ausblick auch irgendetwas hat (was nun durchaus zum menschenscheuen Charakter Elisabeths passen würde). Wie auch immer – ein idyllischer Fleck ist es allemal.
Weit weniger idyllisch geht es dann etwa einhundert Meter weiter zu: etwas unvermittelt nach den einsamen Waldwegen steht man vor der St. Josefs-Kirche. So wenig spektakulär des Bauwerk daherkommt: dies ist einer der bedeutsamsten Orte des christlichen Abendlands (diese Ausdruck ist mit Bedacht gewählt). Vor hier aus startete der polnische König Jan Sobieski seinen Angriff zum Entsatz Wiens während der zweiten türkischen Belagerung der Stadt, der schließlich das Ende der osmanischen Expansionsersuche nach Europa einläutete. Dass er Erfolg hatte, hat ihm Kaiser Leopold I, der seinen hochadligen Hintern vorsichtshalber und gegen das Drängen seiner Wiener in Linz in Sicherheit gebracht hatte, nie verziehen.
Aber auch die Wiener selbst taten sich in der Folgezeit mit diesem historischen Ort schwer. Die Kirche verfiel, es wurde sogar ernsthaft diskutiert, aus ihr ein Tanzlokal zu machen. Erst mit der Übergabe an den Polnischen Orden der Resurrektionisten gewann dieser Standort wieder die ihm zukommende Würde und ist heute offizielles polnisches (!) Nationalheiligtum.
Ein Besuch lohnt. Nicht etwa wegen der Ausstattung, sondern weil man hier noch einen aktiv gelebten Katholizismus erleben kann: die Bänke sind auch außerhalb des Gottesdienstes mit Betenden gut gefüllt, und die Klosterbrüder unterhalten sich im Kirchenchor mit den zumeist polnischen Pilgern und stehen jederzeit mit Rat und Tat bereit. Vitale Kirche, weit weg von den leeren, bestenfalls musealen Kirchen in der Stadt.
Die Rache der heutigen Wiener dafür, von „Fremden“ gerettet worden zu sein, ist subtiler als die Nicht-Achtung der Vergangenheit: neben die Kirche hat man einige Gebäude mit Panoramacafé, Hotel und Hochschule errichtet, die im Gegensatz zu dem, was Wien sonst an gelungener Moderne zu bieten hat, ungewöhnlich hässlich sind. Einzig der wirklich atemberaubende Panoramablick entschädigt, wenn man denn das Glück hat, sich zwischen dutzenden anderer Besucher an die ca. 10 Meter lange öffentlich zugängliche Aussichtsplattform heran zu drängeln.
Ein Tipp: hierfür sollte man nicht zu viel Zeit verschwenden, und sich lieber auf den Weg zu Leopoldsberg machen. Entlang der Fahrstraße führt ein gut befestigter Wanderweg vorbei am Ausflugslokal Josephinenhütte und am Waldseilpark Kahlenberg dorthin. Der Klettergarten bietet auch im Vorbeigehen einen interessanten Anblick: etliche Anlagen sehen aus wie zeitgenössische Skulpturen.
Am Leopoldsberg selbst geht es am Denkmal für die ukrainischen Kosaken (waren am Entsatz Wiens ebenfalls beteiligt) vorbei hoch zur Festung. Das Areal um die Leopoldskirche ist erst seit kurzem wieder für die Öffentlichkeit zugänglich, neben einer gepflegten Grünanlage erwartet die Besucher ein kleines Museum zur Geschichte des Areals. Der kluge Eigentümer hat die Gastronomie von hier verbannt, und so liegt der Fokus nicht auf Tourismus, sondern auf der Landschaft selbst. Der Blick von hier – rechts Wien, links Klosterneuburg, unten die grüne Donau – ist unbeschreiblich!
Versuchen wir es also gar nicht erst und machen uns auf die letzte Etappe des Wegs: vor dem Eingang zur Burg geht rechts der Nasenweg (nach dem „Nase“ genannten Steilhang des Berges genannt) hinunter nach Kahlenbergerdorf. Es sei gewarnt: der Weg ist gut ausgebaut, geht aber andauernd bergab, ist also nichts für Menschen mit Knieproblemen. Und hinauf sollte man den steilen Anstieg den ambitionierten Joggern überlassen, die einem hin und wieder mit hochrotem Kopf und heftig schnaufend entgegenkommen.
Wer den Weg allerdings entspannt und in gemütlichem Wandertempo zu Fuß nimmt, wird reich belohnt: immer wieder öffnen sich Ausblicke ins Umland, auf die Donau und in die Weinberge. Und wer – wie der Autor – diesen Weg im frühen Abend geht, wird gleich doppelt beschenkt: goldenes Sonnenlicht verleiht diesem Tal einen Zauber, ganz hart an der Grenze zum Kitsch.
Und unglaublich schön.
(Stadtspaziergang 16.09.2018)
Meine Tipps:
Die Aussichtsplattform auf der Kronprinzessin-Stefanie-Warte ist von Mai bis Oktober an Samstagen, Sonn- und Feiertagen jeweils ab mittags geöffnet. Infos unter www.wien.naturfreunde.at/
Wer Spaß an der Herausforderung und keine Höhenangst hat sollte einen Tag im Waldseilpark Kahlenberg (www.waldseilpark-kahlenberg.at/) verbringen.
Für alle, die sich den Nasenweg hinab nicht zutrauen: der 38A fährt alle halbe Stunde den Leopoldsberg an und ermöglicht bequeme An- und Abreise.
Die Aussichtsplattform auf der Kronprinzessin-Stefanie-Warte ist von Mai bis Oktober an Samstagen, Sonn- und Feiertagen jeweils ab mittags geöffnet. Infos unter www.wien.naturfreunde.at/
Wer Spaß an der Herausforderung und keine Höhenangst hat sollte einen Tag im Waldseilpark Kahlenberg (www.waldseilpark-kahlenberg.at/) verbringen.
Für alle, die sich den Nasenweg hinab nicht zutrauen: der 38A fährt alle halbe Stunde den Leopoldsberg an und ermöglicht bequeme An- und Abreise.