Die Sänger im Park

Tragisches Idyll im Pötzleinsdorfer Schlosspark (18. Bezirk Währing)

Da stehen sie nun also, die Vier: Sopran, Alt, Tenor und Bass. Zusammen musizieren können sie freilich nicht, dafür stehen sie zu weit auseinander, und so singt jeder der vier seine eigene Weise in den Pötzleinsdorfer Himmel. Und obwohl sie mitten in einer jetzt im Herbst wunderschönen Parklandschaft stehen, und obwohl vom nahen Schloss, in dem eine Rudolf-Steiner-Schule untergebracht ist, fröhliche Klaviermusik herüberklingt, wird es wohl ein trauriges Lied sein.

Denn die vier überlebensgroßen Statuen sind nicht für diesen Standort geschaffen worden, vielmehr krönten sie das Portal des Ringtheaters am Schottenring, von wo aus sie einen spektakulären Blick hinüber zur Burg und zum Steffl genießen konnten. Für diesen erhabenen Platz, hoch über dem Gewühl der Inneren Stadt, hatte der Architekt Emil von Förster sie 1874 ausgewählt, und von dort aus hätten sie für alle Zeit vom Glanz der Wiener Theater im Allgemeinen und vom Ruhm des Ringtheaters im Besonderen erzählen sollen. 

Für alle Zeiten? Es wurden grade einmal sieben Jahre, die die vier dort oben verbrachten. Am 08. Dezember 1881 brannte das Ringtheater in einer der schwersten Brandkatastrophen der Wiener Zivilgeschichte bis auf die Grundmauern nieder. Hunderte Tote waren zu beklagen, großenteils waren sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Es war nicht mehr zu erkennen, wer wer war, und man entschloss sich, alle zusammen in einem großen Grab auf den Zentralfriedhof beizusetzen. Dort ruhen sie heute noch.

Zwischen all diesem Grauen waren wie durch ein Wunder just die vier Sängerfiguren nahezu unbeschädigt erhalten geblieben. Jahre später erwarb sie der Möbelfabrikant  Max Schmidt  und verfrachtete sie nach dem Ersten Weltkrieg nach Pötzleinsdorf. Er hatte sich hier ein kleines Schloss mit einem großzügigen englischen Landschaftsgarten gekauft – ein „Rettungsprojekt“ Schmidts, denn eigentlich hatte die Gemeinde vorgehabt, das Gelände zu parzellieren und zur Bebauung freizugeben. 

Es war die Rettung in letzter Sekunde für einen der schönsten, aber auch historisch bedeutendsten Parks Wiens. An Stelle eines älteren Freihofs hatte hier Philippina von Herberstein, Gräfin aus eine alten steirischen Adelsgeschlecht, ab 1762 ein Schloss und einen Garten anlegen lassen. Die große Zeit des Anwesens begann dann aber erst mit ihrem Nach-Besitzer, dem Kaufmann und Bankier Johann Heinrich Geymüller. Er ließ das Schloss noch einmal grundlegend neu gestalten und vor allem den Landschaftsgarten in der Form planen, wie wir ihn in seinen Grundzügen auch heute noch sehen können. Von den Bauwerken, die im Laufe der Jahre im Park entstanden – Gartenhäusern, Bogengängen, Treppenanlagen und Springbrunnen sowie ein Schweizerhaus – ist zwar nicht mehr viel erhalten, aber dennoch: man kann sich auch heute noch gut vorstellen, welchen hochherrschaftlichen Eindruck Schloss und Garten einmal gemacht haben müssen.

Das beginnt schon am Tor mit seinem gelb leuchtenden Pförtnerhaus und den beiden Löwen vor dem schmiedeeisernen Gitter. Und auch, wenn der Kinderspielplatz und die Schaf- und Ziegengehege dahinter heutige Zugaben sind, die langgestreckte Wiese, die den Kern der Gartengestaltung ausmacht, ist grade jetzt im Herbst zauberhaft. 

Aus der Entfernung macht auch das Schloss noch einen prächtigen Eindruck, kommt man allerdings näher, so sieht man, dass es durch einen Zaun vom Park getrennt ist, dass Autos davor parken und An- und Umbauten den ursprünglichen Baus erweitern. Das Gebäude hatte halt weniger Glück – nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte die Stadt es in Jugendgästehaus um und entsorgte bei der Gelegenheit sowohl innen als auch außen, was nicht dieser neuen Nutzung entsprach. 

Bleibt also der Park, und der ist – wie gesagt – prächtig, zumal sich im Westen auch noch Waldgebiete anschließen, durch die man (fast) bis zum Schwarzenbergpark in Neuwaldegg wandern kann, wenn man denn will.

Heute will ich allerdings nicht, obwohl der warme Oktobertag dazu einladen würde. Stattdessen geht es am Begrenzungszaun des Schlossparks den Abhang hinunter in Richtung Norden, in den Ortskern von Pötzleinsdorf. Zurück in Richtung Parkeingang, aber dieses Mal außerhalb, auf der Pötzleinsdorfer Straße, kommt man nach wenigen hundert Metern an die kleine barocke Ortskirche St. Ägyd. Auf der anderen Straßenseite hat das Museum für angewandte Kunst – kurz das MAK – im „Geymüllerschlössel“ eine Dependance eingerichtet. 

Geymüller – Moment: das war doch der Besitzer des Gebäudes nur wenige zehn Meter von hier. Sollte er sich am gleichen Ort gleich zwei Schlösser gebaut haben?

Nicht ganz. Zwar wurde das Geymüllerschlössel zur selben Zeit errichtet chtet wie das Pötzleinsdorfer Schloss, aber es war der Bruder, Johann Jakob Geymüller, der hier seinen Traum vom Häuschen im Grünen verwirklichte. Ein schönes Zeichen familiärer Verbundenheit…

Ob das darin untergebrachte Museum einen Besuch lohnt, kann ich nicht beurteilen, es ist nur an Sonntagen, und dann auch nur für wenige Stunden, offen. Also gehe ich vorbei, einmal ums Karree, sozusagen: die Khevenhüllerstraße am  „Confraternität Rekonvaleszentenheim“ (einem Rekonvaleszenz-Zentrum der privaten "Kranken-Hilfs-Confraternität für Handlungs-Commis in Wien") entlang auf die Strahlgasse und dann gleich wieder rechts, die Starkfriedgasse hinunter zum kleinen Pötzleinsdorfer Friedhof. Wie das ganze Örtchen macht auch dieser einen gediegenen Eindruck. Ungewöhnlich ist nur, dass er mitten in der Wohnbebauung liegt. 

Mit einem weitere Bogen, der Starkfriedgasse folgend, am „Cottage Tennisclub“ mit seinen gepflegten Außenanlagen vorbei, komme ich dann via Ludwiggasse auf die Pötzleinsdorfer Straße und zurück zum Ausgangspunkt  des Spaziergangs, zum Torhaus.

Was bleibt als Eindruck?

Eine der schönsten Parkanlagen der Stadt. Ein bezauberndes, sehr stilles kleines Örtchen. Und einmal mehr der Beweis: Wien hat viele sehr schöne Fleckchen, die man kennen und besuchen sollte.

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Meine Tipps:

- Bei sonnigem Wetter ist der Park ein wunderbares Gelände für Erholung und Sport. Vor allem ist er aber mit Spielplatz und Streichelzoo ideal für Kinder. Informationen zu den Öffnungszeiten unter  https://www.wien.gv.at/umwelt/parks/anlagen/poetzleinsdorf.html

- Die MAK-Dependance im Geymüllerschlössel umfasst u.a. original erhaltenen Biedermeierräume. Informationen und Öffnungszeiten unter https://www.mak.at/mak-expositur_geymuellerschloessel.

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© Hartmut Schulz 2023

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