15. Bezirk, Rudolfsheim-Fünfhaus
Südlich der Westbahn, nördlich der Wien
Lange Zeit war dieses Gebäude für die vielen Fremden, die mit dem Zug nach Wien kamen, das erste, womit die Stadt sie empfing: der Westbahnhof. Fünfziger-Jahre-Architektur, elegant, aber nicht prächtig, funktionell, aber nicht sehr repräsentativ. Ein Zweckbau in guter Lage, hier, am westlichen Rand der Innenstadt, so etwas wie der Hausflur Wiens: hatte man ihn erreicht, war man angekommen, aber noch nicht wirklich da.
Seitdem die Touristen eher mit dem Flugzeug als mit der Bahn kommen – und mehr noch, seitdem die verbliebenen Eisenbahn-Nostalgiker die Wien über den neuen Hauptbahnhof erreichen – ist der Westbahnhof ein nostalgischer Anachronismus, gut genug für einige regionale und wenige überregionale Verbindungen. Aber immerhin: im Gegensatz zu manch anderem Wiener Bahnhof hat er die Zeiten überlebt. Zwischen 2008 und 2011 wurde das Gebäude renoviert und die Nutzung angepasst, das in solcher Lage unvermeidlich Shopping-Center wurde hineingebaut, hinzu kamen rechts und links der Haupthalle zwei neue Seitengebäude von gewöhnungsbedürftiger Grobheit.
Gut zu erreichen ist der Westbahnhof aber allemal, und so ist er Ausgangspunkt für diesen Spaziergang durch die südlich der Gleisanlagen der Westbahn gelegenen Gebiete des 15. Bezirks Rudolfsheim-Fünfhaus.
Während nördlich, auf dem Areal der Schmelz, lange Zeit freies Land war, ist dieser Bereich zwischen (äußerer) Mariahilfer Straße, linker Wienzeile und Schwendermarkt das Kerngebiet des Bezirks, hier lagen schon in der frühen Neuzeit das namensgebende „Fünfhaus“, etws weiter südlich dass „Sechshaus“ – was sich beides tatsächlich auf die Anzahl der Dorfhäuser zur Entstehungszeit bezieht.
Heute ist der gesamte Bereich natürlich eng verbaut, zudem ist die Gegend einer der bevölkerungsseitig gemischtesten der Stadt, außerdem nicht grade eine der reichsten – was ihr jahrzehntelang zu eher zweifelhaftem Ruf verholfen hat. Inzwischen, soviel sei an dieser Stelle schon gesagt, befinden sich die Grätzel im Umbruch. Die Nähe zur Innenstadt macht Rudolfsheim-Fünfhaus auch für eine einkommensstärkere Schicht attraktiv und die Neubauten und Renovierungen, denen man hier auf Schritt und Tritt begegnet, schielen in Größe und Ausstattung deutlich erkennbar auf den gehobenen Mittelstand. Zwar gibt es immer noch die Spielhallen und Waffenläden, die Stundenhotels und zwielichtigen Etablissements, aber dazwischen finden sich zunehmend Bio-Läden und familientauglich und so gar nicht mehr preisgünstige Cafés und Restaurants.
Kristallisationspunkt dieser Entwicklung ist der Bereich um die derzeit in Renovierung befindliche Kirche Maria vom Siege. Immerhin Wiens zeithöchster Kuppelbau, dominiert das Gebäude den Mariahilfer Gürtel und die umliegenden Straßenzüge. Fertiggestellt wurde die Kirche 1875 durch Friedrich von Schmidt, den Architekten des Wiener Rathauses und Dombaumeister von St. Stephan. Er hatte in Köln sein Handwerk gelernt, was der Kirche Maria vom Siege anzusehen ist: die romanische Kirche St. Gereon in der Domstadt und vor allem das Aachener Münster lassen architektonisch grüßen.
Wenige Schritte weiter in Richtung Süden erreicht man die Keimzelle des ehemaligen Fünfhaus. Dass auch dieses Grätzel eine bewegte Historie hat, zeigt das Mahnmal an der Turnergasse 22. Hier stand bis zu den Novemberpogromen 1938 der jüdische Turnertempel, heute erinnern nur noch die Betonstreben, die den eingestürzten Dachstuhl des Gebäudes symbolisieren. Mosaike dazwischen zeigen Früchte und Pflanzen, die in der Torah erwähnt sind und so an den jüdischen Alltag erinnern.
Gut erhalten und prächtig renoviert – wen wundert’s? - ist hingegen die nahegelegene Katholische Kirche Maria, Hilfe der Christen. Ihre farbenprächtig verzierte, in die Häuserzeile hineingebaute Fassade spiegelt sich im gegenüberliegenden Wohn- und Bürohaus.
Dass auch Kirchen in Wien eigenwillige Schicksale haben können, zeigt dann aber die ebenfalls nahegelegene Klosterkirche Mutter der Barmherzigkeit (Ecke Fünfhausgasse/ Clementinengasse): 1976 riss man ihre Fassendtürme ab und versteckte den amputierten Restbau hinter der Straßenfront des Schulzentrums Friesgasse. Der Kirchenbau vermag sich nur nach oben etwas Luft aus der einfallslosen Architektur des umgebenden Gebäudes zu schaffen.
Nach einem kleinen Abstecher in die „Turnhalle“, einem charmantes kleines Café im Komplex des Kulturzentrums Brick-5, sollte man nicht versäumen, jetzt noch einmal durch die Herklotzgasse auf den Mariahilfer Gürtel zu gehen: die U-Bahnstation Gumpendorfer Straße gehört zu den schönsten Verkehrsbauwerken Otto Wagners. Gut, dass sie endlich renoviert wird!
Wer den Verkehr nicht scheut, läuft von hier ein kurzes Stück den Gürtel hinunter, bevor er/ sie an der Bahnüberführung und der darunter liegenden Stadtwildnis in die Graumanngasse abbiegt. Das Haus Nr. 5 befindet sich im Abriss, aber das erhaltene Hotelschild verrät, dass hier – im wahrsten Sinne verkehrsgünstig gelegen - das legendäre Hotel Bauer war, Wiens ältestes Stundenhotel. Das Geschäft boomt übrigens immer noch, nur das Haus war in die Jahre gekommen. Im „Nachfolger“ in der Graumanngasse 16 sind Zimmer immer noch stundenweise zu bekommen.
Womit sowohl Thema als auch Rundweg beim weniger präsentablen Teil Rudolfsheim-Fünfhaus‘ angekommen wären. Im Bereich Ullmannstraße, Sechshauser Straße und den nahebei liegenden Gassen ist das horizontale Gewerbe durchaus noch präsent. Schnell hindurch also – die Reize dieser Gegend dürften sich eher nächstens und hinter verschlossenen Türen offenbaren…
Aber schon wenige Meter die Reindorfgasse hinauf ist am Kirchplatz – diesmal ist es die Allerheiligste Dreifaltigkeit, der man den immer gleichen Wienervorstadtkirchenbarockbau gewidmet hat – die Welt wieder in Ordnung, idyllisch gelegen warten einige schön hergerichtete Wirtshäuser und Cafés auf ihr Publikum.
Zeit, nochmal einen Kaffee zu nehmen, ehe das letzte Stück Wegs via Schwendermarkt zu einem gut versteckten Stück Wiener Architektur- und Eisenbahnromantik führt: dort, wo die Rustengasse an den Gleisen der Westbahn endet, führt die Eisenkonstruktion des 1902 erbauten Rustenstegs über das Gelände des Westbahnhofs auf die gegenüberliegenden Seite. Durch den finsteren Zugang muss man sich trauen, die Brücke selbst entschädigt mit einem wunderbaren Blick auf die Gloriette auf der einen, auf das Bahnhofsgelände des Westbahnhofs – und damit auf den Ausgangspunkt dieses Spaziergangs – auf der anderen Seite.
(Stadtspaziergang 13.05.2019)
Mein Tipp:
Die große Halle des Westbahnhofs bietet eine ganze Reihe Cafés und Restaurants. Nichts Besonderes, die Ketten und Großbäckereien, die man an solch einem Ort erwarten darf. Dennoch lohnt es, hier eine kurze Pause einzulegen und die gut renovierte 50er-Jahre-Halle auf sich wirken zu lassen.
Der Schwendermarkt ist zwar städtebaulich kein Meisterwerk, aber immerhin hat er wieder einen Wochenmarkt und etwas Marktgastronomie (https://www.wien.gv.at/…/m…/lebensmittel/schwendermarkt.html)
Die große Halle des Westbahnhofs bietet eine ganze Reihe Cafés und Restaurants. Nichts Besonderes, die Ketten und Großbäckereien, die man an solch einem Ort erwarten darf. Dennoch lohnt es, hier eine kurze Pause einzulegen und die gut renovierte 50er-Jahre-Halle auf sich wirken zu lassen.
Der Schwendermarkt ist zwar städtebaulich kein Meisterwerk, aber immerhin hat er wieder einen Wochenmarkt und etwas Marktgastronomie (https://www.wien.gv.at/…/m…/lebensmittel/schwendermarkt.html)