14. Bezirk, Penzing
Wein, Gemüse und Soldaten (Breitensee)
Das hier bis weit ins 19te Jahrhundert hinein Weinberge und Gemüsegärten die Vorstadt dominierte, kann man sich kaum noch vorstellen. Heute ist Breitensee ein durch und durch urbanes Grätzel, geprägt von Geschäften, Handwerk und Gemeindebauten. Vor allem aber vom Militär.
Das Heer ist in diesem Stadtteil unübersehbar. Schon wer an der Station Breitensee aus dem S-Bahnhof kommt wird damit konfrontiert: von der gegenüberliegenden Seite der Hütteldorfer Straße grüßt unübersehbar der prachtvolle Bau der Theodor-Körner-Kaserne. Zur Zeit seiner Gründung im Jahr 1898 war hier eine der größten Kadettenschulen der k.u.k. Monarchie untergebracht, heute beherbergt er das Heeres-Nachrichtenamt.
Hand aufs Herz – wer weiß, was das „Heeres-Nachrichtenamt“ eigentlich tut? Ich wusste es nicht, aber wie so oft weiß auch hier Wikipedia Rat: diese Dienststelle ist der Auslandsnachrichtendienst des Bundesheeres, hier schleichen also die militärischen Schlapphüte der Republik ums Eck. Auf Grundlage der in der Hütteldorfer Straße zusammengetragenen Informationen entscheidet die Regierung über die zentralen sicherheitspolitischen Themen – und wer so wichtig ist, dem sei dieser prächtige und große Komplex mehr als gegönnt.
Auch weitere Teile des dahinterliegenden Stadtgebiets unterliegen militärischer Nutzung, doch davon später (immer wieder) mehr.
Zunächst führt der Weg rechts am Körner-Bau vorbei die Kendlerstraße hinauf ins Herz des zivilen Breitensees. Auffällig ein sonnengelbes Gebäude an der Kreuzung mit der Spallertgasse: „Blattgold“ prangt unübersehbar in großen – naheliegender Weise goldenen – Lettern über der Eingangstür.
Hier hat die Alois Wamprechtsamer GmbH ihren Stammsitz, eine der ältesten und traditionsreichsten Blattgold- und Blattsilberschlägereien Österreichs. Das Gold auf der großen Pallas Athene vor dem Parlament oder auf dem Turmkreuz des Steffels stammen von hier. Spezialisiert ist das Unternehmen aber vor allem auf Speise-Blattgold und auf Grabgold. Edle Speisen und a schöne Leich – wienerischer kann ein Unternehmen kaum sein.
Ob auch das Edelmetall, das den Hochaltar der nahegelegenen Stadtteilkirche St. Laurentius zum Glänzen bringt, von hier stammt, weiß ich nicht. Auszuschließen ist es nicht, Firma und Gotteshaus sind in etwa gleich alt, auch wenn die Kirche sich sehr „gotisch“ gibt. Ganz in der Nachfolge mittelalterlicher Baumeister präsentiert sich auch ihr Architekt Ludwig Zatzka, der augenscheinlich (und zu Recht) stolz auf diesen Bau war: wie Meister Pilgram am Fuß der Domorgel präsentiert er an der Orgelempore selbstbewusst sein Portrait.
Überhaupt war die Wende vom 19ten aufs 20te Jahrhundert die große Zeit des Stadtteils. In direkter Nähe der Kirche liegt mit den „Breitenseer Lichtspielen“, gegründet 1909, eines der ältesten Kinos Wiens. Mit den „Filmkonzerten“, bei denen alte Spielfilme noch ganz authentisch auf dem Klavier begleitet werden, erinnert das Kino bis heute an die Zeit „als die Bilder laufen lernten“.
Es geht aber sogar noch älter im Grätzel: als die Kirche in den Breitenseer Himmel wuchs und die ersten Schwarz-Weiß-Filme über die Leinwand der Lichtspiele flackerten, konnte der Weinschank „Zur alten Schmiede“ - ebenfalls in der Kendlerstraße - bereits auf eine lange Tradition zurückblicken. Hier konnte man einkehren, als ringsum noch Wein und Gurken wuchsen.
Sicher hat die Wirtschaft auch etliche der Soldaten gesehen, die – und damit wären wir endlich wieder beim Militär angelangt – in den beiden Kasernen an der vom Ortskern westwärts führenden Breitenseer Straße stationiert waren. In der „Großen Breitenseer Kaserne“, die eigentlich auf den ebenso unmerkbaren wie unschreibbaren Namen Vega-Payer-Weyprecht-Kaserne hört, ist heute die Heereslogistikschule untergebracht. Die auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegene „Kleine Breitenseer Kaserne“ wird hingegen nur noch eingeschränkt genutzt und nach und nach in ein städtisch-ziviles Wohnareal umgestaltet. Die eine oder andere Soldatenmutter wird glücklich sein, ihrem Filius in Zukunft nicht mehr an die Biedermann-Huth-Raschke-Kaserne schreiben zu müssen…
Erstaunlicher Weise ist der militärisch anmutendste Bau Breitensees gar keiner: bei der weißen Kuppel, die den großen Gebäudekomplex zwischen Braillegasse und Torricelligasse (komplizierte Namen scheinen ein Charakteristikum des Stadtteils zu sein) krönt, handelt es sich nämlich keineswegs um eine Abhöreinrichtung, auch wenn sie genauso aussieht. Es ist vielmehr ein Observatorium, das zu Testen der im ehemaligen Carl-Zeiss-Werk gebauten optischen Geräte verwendet wurde. Dem trotzig-militante Charakter des Gesamtkomplexes konnte das Bundesheer aber auf Dauer anscheinend nicht wiederstehen, seit Schließung der Produktionsstätten in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist hier eine Dependance der Heereslogistikschule untergebracht.
Allzu martialisch geht es hier allerdings nicht zu: beim (vergeblichen) Versuch, die Observatoriumskuppel von hier zu fotografieren, wurde ich von den beiden Wachtsoldaten beobachtet. Ich war schon gut 5 Minuten und 500 Meter weiter am Wasserbehälter der Wiener Hochquellen Wasserleitung angelangt, als hinter mir ein zaghaftes „Fotografieren verboten – bitte schön“ ertönte. Augenscheinlich hatte der brave Mann erst im Handbuch nachschlagen müssen…
Von hier ist es im Übrigen nicht weit zu den Steinhofgründen und den berühmten Wagner-Bauten am Baumgartner Spital, aber, da nicht mehr zu Breitensee gehörig, sind diese nicht Thema des heutigen Stadtspaziergangs. Diejenigen, denen die Behandlung in dieser bedeutenden und fortschrittlichen medizinischen Einrichtung auch nicht mehr helfen konnten, allerdings schon. Der Baumgartner Friedhof, malerisch zu Füßen des Spitals und der Kirche am Steinhof mit bestem Blick auf den Wienerwald gelegen, gehört nämlich laut Google-Maps noch zu Breitensee. Im Kastralregister gehört er schon zu Unterbaumgarten. Aber wer will sich schon mit Google streiten, zumal der Friedhof thematisch und vom Weg her perfekt in diesen Spaziergang passt.
Für Gräbertouristen bietet dieses Areal wenig, außer den Gräbern des Gustav-Klimt-Bruders Ernst und des Fußballers Franz „Bimbo“ Binder genießen hier nur wenige prominente Tote die Aussicht. Man sollte es ihnen zumindest einen Moment lang gleichtun und Sicht auf die gegenüberliegenden Hügel auskosten, ehe es auf den Rückweg geht.
Dieser bietet mit dem Hanusch-Krankenhaus noch einmal eine militärische Reminiszenz. Gegründet wurde es nämlich zur Versorgung der in Breitensee kasernierten Soldaten als k. k. Erzherzog-Rainer-Militärspital. Heute ist es zivil und mit 10 Abteilungen und 20 Spezialambulanzen eine der großen Wiener Kliniken.
Vom Eingang des Spitals in der Heinrich-Collin-Straße sind es dann nur noch wenige Meter die Lützowgasse hinunter, ehe man am ältesten Wasserpumpwerk Wiens, dem denkmalgeschützten Pumpwerk Breitensee, wieder über die Hütteldorfer Straße die S-Bahn erreicht.
(Stadtspaziergang 14.09.2019)
Meine Tipps:
Für Kino-Fans bieten die Breitenseer Lichtspielen in nostalgischem Ambiente ein ausgesuchtes Programm von Familienfilmen bis zu live musikalisch begleiteten Stummfilmen. Das Programm ist zu finden unter www.bsl-wien.at
Im Zusammenhang mit der Goldschlägerei Wamprechtsamer (www.blattgold.at) lohnt ein Blick in die beiden Videos, die die WKO-Plattform Wiener Kunsthandwerk (http://kunsthandwerk.wien) auf ihrer Facebookseite @kunsthandwerk.wien eingestellt hat. Einfach unter dem Menupunkt „Videos“ nach Wamprechtsamer suchen.
Für Kino-Fans bieten die Breitenseer Lichtspielen in nostalgischem Ambiente ein ausgesuchtes Programm von Familienfilmen bis zu live musikalisch begleiteten Stummfilmen. Das Programm ist zu finden unter www.bsl-wien.at
Im Zusammenhang mit der Goldschlägerei Wamprechtsamer (www.blattgold.at) lohnt ein Blick in die beiden Videos, die die WKO-Plattform Wiener Kunsthandwerk (http://kunsthandwerk.wien) auf ihrer Facebookseite @kunsthandwerk.wien eingestellt hat. Einfach unter dem Menupunkt „Videos“ nach Wamprechtsamer suchen.