Frühling im Lainzer Tiergarten

Jahreszeiten-Wanderung durch Wiens grüne Oase (13. Bezirk Hietzing)

Bei schon am Morgen sommerlich warmen Temperaturen und azurblauem Himmel muss es für diesen Spaziergang einfach heißen „Hinaus in die Grüne.“ Alles andere als eine ausgiebige Partie durch den Wiener Frühling käme einer sträflichen Missachtung dieses ausnehmend schönen Tages gleich, und so steht statt Stadtwanderung heute Waldeslust auf dem Programm.

Wobei – eine kleine Einschränkung, einen kulturhistorischen Schwenk auf dem geplanten Bogen durch den nördlichen Teil des Lainzer Tiergartens, gibt es gleich zu Beginn des Weges schon: Nur wenige Meter hinter dem Zugang am Nicolaitor steht auf einer kleinen Anhöhe über dem Wiental mit der Kapelle gleichen Namens einer der ältesten Kirchbauten Wiens. Das in seinen Grundzügen noch romanische Gebäude war wohl einmal Teil einer Burganlage, steht aber heute als Solitär effektvoll vor dem Grün des dahinterliegenden Waldes. 

Zu Sehen gibt es im Inneren eigentlich nichts, aber ich bin früh am Tage unterwegs und das erste Sonnenlicht, dass durch das Chorfenster fällt, erfüllt den Raum mit einem diffusen Glanz und verleiht ihm eine mystische Aura. Das Meer von weißen Blumen, das die Nicolaikapelle umgibt, tut ein Übriges die romantische Stimmung noch zu steigern.

Um was es sich bei den kleinen weißen Sternen, die mich heute auf dem ganzen Weg begleiten werden, selten aber so dicht stehen wie hier, handelt, weiß ich als botanischer Ignorant nicht – der ein oder andere Leser, die ein oder andere Leserin wird mir da sicher aushelfen können. Mich erinnern die Blüten an die berühmten Sisi-Sterne, eine Assoziation, die angesichts der Tatsache, dass die Kaiserin den Lainzer Tiergarten bekanntermaßen sehr schätzte, nicht ganz abwegig ist.

Überhaupt stelle ich bei dem weiten Bogen, den ich heute von hier aus durch Wald und Wiesen zum Pulverstampftor mache, immer wieder fest, dass ich als Stadtmensch schlicht keine Ahnung von der Forstwirtschaft habe. Was hat es zum Beispiel mit den Häuschen aus Knüppelholz auf sich, die nicht nur oberhalb der Kapelle im Wald zu finden sind. Kinderspielplatz? Experimental-Archäologie? Holzfäller-Tradition? Ich weiß es nicht.

Die Verwaltung versucht der Ignoranz der wohl meisten Wanderer mit strategisch platzierten Informationstafeln entgegenzuwirken. Ich bleibe bei der ersten gleich an der Überschrift hängen. „Wildschein“ steht da in fetten Großbuchstaben, und anstatt mich weiter für Hege und Pflege des Borstenviehs im Wienerwald zu interessieren, bin ich die nächsten hundert Meter damit beschäftigt, zu überlegen, ob es sich hier im ummauerten und wohlbestellten Lainzer Tierpark tatsächlich nur um eher handzahmes Schein-Wild handelt, oder ob der armen Sau schlicht das zweite „W“ fehlt.

Immerhin, auf der Informationstafel am Grünauer Teich, der etwas abseits vom Weg durch die Bäume zu ahnen ist, gibt es ebenso Erhellendes wie Kurioses zu entdecken. Zum Beispiel den Fakt, dass der Unterhalt dieses künstlichen Gewässers teuer war (und wohl noch ist) und lange Zeit nur finanziert werden konnte, indem man das winterliche Eis des Sees an die Wiener Fleischhauer und an die Hütteldorfer Brauerei verkaufte. 

Rätselhaft hingegen die auf einer Lichtung gelegene Hütte weiter den Weg hinauf. Auf der Wiese davor stehen etliche Pfähle, deren Sinn und Zweck sich dem Laien nicht erschließt, die mich aber an die Rekonstruktion steinzeitlicher Heiligtümer erinnert. Wenige Schritte daneben ein Stein mit der Inschrift „Ö.P.T.4 1953, Leitzinger Micheln“. Ich wäre gerne dabei, wenn in 2000 Jahren Archäologen hier bei Ausgrabungen Pfostenlöcher ausmachen und die Inschrift. Nach heutiger Logik der Zunft werden sie vermutlich einen Kultplatz des beginnenden Digitalzeitalters diagnostizieren…

In einer langen Kehre geht es von hier aus dem Wald hinunter ins Tal. War es bisher der Grünauer Bach, dem der Weg folgt, ist es nun das Rotwasser. Die beiden geschwisterlichen Bächlein scheinen die Rollen klar untereinander aufgeteilt zu haben: Während ersteres durch den Wald fließt, gluckert letzteres am Rand des Forstes durch eine bezaubernde Wiesenlandschaft.

Spätestens hier sieht man, dass der Lainzer Tiergarten kein ursprünglicher Naturraum ist, sondern seit Jahrhunderten bewirtschaftetes Gebiet. So in Reih und Glied, wie die Obstbäume stehen, können sie nie und nimmer von Mutter gepflanzt worden sein. Egal – traumhaft schön ist es hier dennoch.

Ganz am Ende des Spaziergangs kann ich zumindest eines der Rätsel, die mich auf dem Weg so beschäftigt haben, lösen. Im Licht des nahen Mittags prangen nahe dem Pulverstampftor zwei monumentale steinerne Eber. Beindruckend, aber nicht wirklich gefährlich. Schein-Wild, also.

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Meine Tipps:

- Obwohl das Areal außerhalb der Stadt gelegen ist, das Nicolaitor ist perfekt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Die U-Bahn Endstation der Linie 4 ist nur wenige Gehminuten entfernt, man kann und sollte das Auto also zu Hause stehen lassen.

- Informieren sollte man sich allerdings über die Öffnungszeiten des Lainzer Tiergartens. So groß das Gelände ist, gibt es doch nur wenige Zugänge. Informationen sind zu finden unter https://www.lainzer-tiergarten.at/oeffnungszeiten.html

 

© Hartmut Schulz 2023

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