Via Imperialis

Auf den Spuren der Römer in Wien (1. Bezirk Innere Stadt)

Das, was nicht mehr sichtbar ist, verschwindet auch aus unserem Bewusstsein. 

Soweit der historische Allgemeinplatz. Er gilt für jeden von uns individuell, er gilt für Gemeinschaften, Städte und Nationen. Was wir nicht berühren können, hat nicht existiert. Daher die Fluten an Gedenkstätten, Statuen und Stolpersteinen, an historischen Schützenumzügen, Traditionsbällen und Festtagsbräuchen. (Und in Wien ganz besonders: an Gedenktafeln.) Mit alldem verankern wir uns in der Vergangenheit und versichern unserer historischen Kontinuität.

In Wien reicht das Erinnern kaum 350 Jahre zurück, in die Zeit des Barock.  Dass es auch eine mittelalterliche Stadt gegeben hat, daran erinnern der Stephansdom und Maria am Gestade, aber diese Epoche ist sowohl im Stadtbild als auch im Selbstverständnis der Einwohner von untergeordneter Bedeutung. Und dass hier einmal das römische Vindobona lag -  zu seiner Blütezeit im 2. Jahrhundert nach Christus immerhin vermutete 30.000 Einwohner groß – ist zur Gänze aus dem Alltagsbewusstsein verschwunden.

Wie sollte es auch anders sein? Zwei Steinquader in der Sterngasse und einige überraschend wenig aussagekräftige Mauerfragment auf dem Michaelerplatz sind alles, was im öffentlichen Raum vom römischen Wien übrig geblieben ist. So hat es zumindest den Anschein.

Zeit für eine Spurensuche also.

Diese beginnt man am besten im Römermuseum, einer Außenstelle des Wien Museums am Hohen Markt 3. Schätze sollte man hier nicht erwarten, dennoch ist der Besuch jedem, der sich für die Historie und auch für die Topografie dieser Stadt interessiert, dringend nahezulegen. So lernt man, dass das heutige Zentrum, begrenzt durch Graben, Tiefen Graben und Rotenturmstraße, seinen Ursprung im einstmaligen Legionslager hat. Zusammen mit der im Bereich des jetzigen Bezirks Landstraße gelegenen Zivilstadt ging dieses in den Wirren der Völkerwanderungszeit unter. Die wenigen ausgegrabenen Kleinfunde legen die Vermutung nahe, dass es nicht allzu schade um Vindobona war, wenn auch die spärlichen Reste zweier Tribunenhäuser im Keller – beide natürlich inklusive der für ein römisches Gebäude unvermeidlichen Fußbodenheizung (für Kreuzworträtsel-Freunde: Hypokaustum) – einen gewissen Luxus anzeigen. Den Titel als „lebenswerteste Stadt der Welt“ hätte Wien damals aber sicher nicht verliehen bekommen.

Vom Museum ist es ein gut zehnminütiger Fußmarsch durch die Innere Stadt (wenn man nicht noch den 5-minütigen Abstecher zu den Quadern in der Sterngasse machen will) zur „archäologischen Grabung“ auf dem Michaelerplatz. Der größte Wert dieses in den Kreisverkehr eingelassenen Ich-weiß-nicht-was aus Mauerresten und Plexiglasscheiben besteht vermutlich darin, dass man jetzt vor die Hofburg keine depressionsfördernden Hrdlitschka-Skulptur und keinen überdimensionalen rosa Pudel von Koons stellen kann. Aber das Gefühl „Ah, Römer!“ mag sich nicht wirklich einstellen.

Rom in Wien – das war es? Keineswegs! 

Man braucht die Augen nur ein wenig heben – und stutzt. 

Da stehen doch tatsächlich an der Durchfahrt in die Hofburg vier überdimensionale nackte Herren, die irgendwie verblüffend römisch ausschauen. Natürlich stammen die Herkulesse aus dem Barock, aber das Vorbild ist unzweifelhaft.

Noch deutlicher wird der Rückbezug im Durchgang: Reliefs wie “Adventus Augusti“ und „Profectio Augusti“ könnten direkt von der Trajanssäule stammen. Und wer hier noch an einen Zufall glaubt, der wird spätestens Angesichts des Kaiser-Franz-Denkmals im Inneren Burghof eines besseren belehrt.

Franz II / I präsentiert sich hier seinen staunenden und entzückten Untertanen im Gewand eines römischen Imperators, umgeben von den ebenfalls antik verkleideten Tugenden Glauben, Stärke, Frieden und Gerechtigkeit. Die Inschrift auf der Rückseite des Granitsockels, die einen der größten Versager des an dubiosen Gestalten ohnehin nicht armen Habsburger-Hauses zum Pater Patriae hochjubelt, hätte es gar nicht gebraucht. Ave Caesar, Viennenses te salutant.

Selbstverständlich geht es hier nicht um einen direkten Bezug zur Siedlungsgeschichte der Stadt. Aber es ging den Habsburgern, insbesondere nach des Niederlegung des Römisch-Deutschen Kaisertitels im Jahr 1806, durchaus darum, Wien als Residenzstadt durch solcherlei Rückgriffe auf die Ikonografie des alten Rom aufzuwerten. Immerhin beherrschte man jetzt auch einen Vielvölkerstaat, zu dem auch weite Teile Italiens gehörten. Da durfte man sich schon mal als legitimer Nachfolger eines Augustus fühlen. Und was damals Rom war, war jetzt Wien. Die ehemalige kleine Provinzstadt am Rande des Imperiums. Welch eine Karriere!

Begeistert von diesem etwas verqueren Geschichtsbild, begann das Kaiserhaus, römische Funde aus dem ganzen Reich in Wien zu horten – und rafften so eine Sammlung zusammen, die für mich genauso zum römischen Wien gehört wie die Hausfragmente am Hohen Markt: die Antikensammlung im Kunsthistorischen Museum.

Es sind dabei gar nicht einmal die großen Schätze, die wundervolle Isis, die zauberhaften Grimani-Reliefs oder allem voran die atemberaubende Gemma Augustea, die das alte römische Wien wieder aufleben lassen. Solcherlei Wunderwerke des Kunst wird es in Vindobona nicht gegeben haben. Aber gehen Sie in den Saal mit den Portraitköpfen und nehmen Sie sich die Zeit, diesen Gesichter von Menschen aus allen Ecke und Enden des Römischen Reiches einmal intensiv in die Augen zu schauen. 

Sie werden sie wiedererkennen. Es sind genau die Gesichter, denen wir bis heute in dieser so wundervoll weltoffenen Stadt begegnen: die alte Dame, Ur-Wienerin aus Döbling, der aus Italien zugewanderte Pizzabäcker in Hernals oder der kleine Schulbub, dessen Ur-Ur-Ur-(etc.)-Enkel heute noch in jeder der Volksschule anzutreffen ist. Das sind die Menschen Roms. Das sind die Meschen Wiens.

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Meine Tipps:

- Einen guten Einblick in die Geschichte des römischen Wien bietet Wikipedia unter https://de.wikipedia.org/wiki/Vindobona

- Für Hardcore-Archäologie-Fans sei der Hinweis erlaubt, dass es im Bereich der Inneren Stadt noch eine weitere der Öffentlichkeit (gelegentlich) zugängliche Fundstelle gibt: Im Keller der Feuerwache befinden sich die Reste eines römischen Kanals: https://www.wienmuseum.at/de/standorte/derzeit-geschlossen/roemische-baureste-am-hof

- Über die Antikensammlung finden sich alle wesentlichen Informationen auf der Webseite der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums: https://www.khm.at/besuchen/sammlungen/antikensammlung/

Ein Tipp – gehen Sie an einem Donnerstagabend hin, wenn es draußen schon dunkel ist. An diesem Tag hat das Museum bis 21 Uhr geöffnet. Im Saal mit den Portraitköpfen herrscht selten großer Andrang. Einem höchst stimmungsvollen Dialog mit den alten Römern steht dann nichts im Wege.

 

© Hartmut Schulz 2023

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