Geisterstunde Teil 1: Gang zur Richtstätte

Stadtpark bis Am Hof (1. Bezirk Innere Stadt)

Was ist nicht alles hineingeheimnisst worden in das angeblich ach-so-morbide Verhältnis der Wiener zum Tod. Dass man hier auf Vieles verzichten kann zum Beispiel, aber nicht auf die schene Leich. Oder dass man erst tot sein muss, dass die anderen einen hochleben lassen…

Dabei ist es viel einfacher: Das Leben ist unwägbar. Eventuell verschlagen einen berufliche oder familiäre Schicksalsschläge nach Übersee. Oder nach Böhmen. Oder - Schlimmstes aller Schicksale! – ins Burgenland.

Tot aber ist alles gut. Da muss man Wien nicht mehr verlassen, da darf man ewig hier leben. 

Das mit dem „leben“ ist dabei unbedingt wörtlich zu nehmen: Es gibt wohl keinen Häuserzug in dieser Stadt, der nicht von mindestens einer Handvoll Geister bevölkert wird. Meist sind es harmlose Gesellen (und natürlich auch „Gesellinnen“), die nach dem Tod gerne in ihrer altgewohnten Umgebung bleiben möchten. Manchmal aber macht sich das Grauen breit, insbesondere dort, wo dem Ableben der armen Seelen auf die ein oder andere Weise nachgeholfen wurde. Besonders betroffen: die Innere Stadt. 

Wer sich auf die Suche nach dem Nicht-ganz-so-Guten machen möchte, wählt am besten den spätabendlichen Einstieg bzw. Ausstieg an der U4-Station Stadtpark. In nebligen Nächten tummeln sich im Flüsschen und in den angrenzenden Uferbereichen der Wassermann der Wien und seine Nymphen. Ein friedliches Völkchen, dass plantschend, glucksend und knisternd auf sich aufmerksam macht. Nur auf Otto Wagner sollte man sie nicht ansprechen, dann werden sie böse. Sie nehmen ihm die Einwölbung ihres kleinen wilden Gewässers bis heute übel.

Vermutlich tröstet es sie aber, dass dieser Naturfrevel – wie sie den Eingriff durchaus zu Recht bezeichnen – der Beliebtheit ihrer Stadt keinen Abbruch getan hat. Gerne bestätigen wird Ihnen dies vermutlich der ältere fesche Herr, dem man auf der Canovagasse zwischen Hotel Imperial und Musikverein begegnen kann: der bekennende Wien-Fan Walt Disney ist nach seinem Tod hierher umgezogen. Sollte ihnen in dieser Gasse eine vereinzelte graue Nebelwolke begegnen, grüßen Sie recht freundlich, Sie haben schon viele Filme von ihr gesehen!

Die Beine in die Hand nehmen sollte man hingegen, wenn man auf der anderen Seite des Rings, insbesondere im Bereich Rauhensteingasse – Liliengasse – Blutgasse, auf einsame Dunstschwaden, schwebende Lichter oder irgendwie ungewöhnliche Wegbegleiter trifft. Denn hier liegt eines der Epizentren des Grauens in Wien.

Bis 1776 stand unter der Hausnummer 10 das Malefizspitzbubenhaus, das Kriminalgefängnis der Stadt. In seinen Kellern, die auch unter die Nachbarhäuser reichten, wurden die Verdächtigen, den Gepflogenheiten der Zeit folgend, gefoltert, um ihre Geständnisse zu erzwingen. Wer für schuldig befunden wurde, trat den Weg die Straße und die angrenzende Liliengasse hinunter zum Gericht auf dem Hohen Markt und zur Richtstätte am Hof an. „Armesündergassenn“ hießen solche Straßen im Volksmund. Sie galten – und gelten – als verfluchte Ort, voll der bösen Kräfte, die sich hier im Laufe der Jahrhunderte verdichtet haben. Insbesondere die so harmlos wirkende Liliengasse hat es in sich – man sollte zwei Mal hinschauen, wem oder was man hier begegnet. Der Wiener Volksbraucht rät denn auch zu einer besonderen Maßnahme: man soll diese Straße immer in ungrader Zahl betreten. Zu zweit, zu viert oder in einer folgenden graden Anzahl zieht man das Unglück auf sich herab. Vorsicht also, wer diesem Stadtspaziergang folgt: hier lauert Übles!

Doch auch die angrenzenden Gassen haben es in sich. Zwei seien besonders empfohlen, wenn man den Nervenkitzel sucht: die Blutgasse und die etwas weiter gelegene Schönlaterngasse.

„Blutgasse“ – der Name klingt schon ungut und die Straße hält des Nachts durchaus, was sie verspricht. Ihren Namen hat sie der Legende nach vom Blut, dass hier in Strömen floss, als der aufgehetzte Mob anno 1312 die Templer im anliegenden Fähnrichhof erschlug. Allerdings ist diese Sage von der Geschichtsforschung als Mär entlarvt worden, die Namensherkunft ist unklar.

Dass sie wissenschaftlich widerlegt sind, hat sich freilich bei den Geistern der Blutgasse noch nicht herumgesprochen. Und so bleibt es weiterhin gruselig hier, insbesondere für einen einsamen Wandere nahe der Mitternacht. Ich weiß, wovon ich rede und werde zum Abschluss dieses Beitrags in Teil II noch einmal auf diesen unheilvollen Ort zurückkommen…

Entspannter geht es in der Schönlaterngasse zu, zumindest für den Vorübergehenden. Für die Bewohner des Basiliskenhauses Nr. 7 mag anderes gelten, speit das Untier im Brunnen doch bis heute seinen giftigen Atem und lässt die Straße dann und wann in dichten Nebel versinken.

Erstaunlich wenig Spuk scheint es heutzutage um den Stephansdom zu geben, Begegnungen mit dem Teufel, mir irrlichternden Geister in den Katakomben und zahnwehfördernde Skulpturen (bitte in den Wiener Sagen nachlesen) scheinen der Vergangenheit anzugehören. Eine unheimliche Begebenheit aber dauert bis heute an: wer sein Ohr an die Tür zum Turmaufgang auf den Südturm presst, kann weit oben das dumpfe Rollen von Kugeln und das Fallen von Kegeln vernehmen. Hoch im Turm, auf der Kegelbahn neben der ehemaligen Türmerwohnung, spielen die Geister des Domes bis heute ihr Spiel.

Doch folgen wir unserem armen Sünder weiter zu seiner Richtstätte!

Eine der verrufendsten Gegenden der Stadt liegt zwischen St. Ruprecht und Hohem Markt. Gespenstisch geht es vor allem rund um das Katzensteighaus, Seitenstettengasse 6, Ecke Rabensteig zu. Von hier soll eine große weiße Katze nächtens über die Dächer der umliegenden Häuser streifen, zum Unglück aller, die sie sehen. Von dem Gebäude gingen Brände aus, es stürzte ein, Morde und Pleiten gehören zu seiner düsteren Geschichte. 

Und es ist nur ein Katzen-Sprung (sic!) zum Hohen Markt, glaubt man den Berichten, dem Geister-Hot-Spot schlechthin. Tagsüber kann man es sich kaum vorstellen, so harmlos und – zugegebenermaßen – auch etwas gesichtslos wirkt der Platz. Doch in der Nacht liegt eine eigentümlich drückende Stimmung über dem Ort. Vergegenwärtigt man sich, dass hier in der Antike das römische Militärlager, später der Gerichtshof der Babenberger Herzöge und im Mittelalter mit der Schranne das Stadtgerichtshaus standen, ahnt man, wie viele Menschen von hier aus in den Tod gegangen sind. Ihnen läutete das Armsünderglöcklein, das auch heute noch in manchen Nächten seine Stimme hören lässt, auch wenn Turm und Glocke seit Jahrhunderten aus dem Stadtbild verschwunden sind.

Ihr Klang begleitete die zum Tode durch Vierteilen, Rad, Feuer oder Schwert Verdammten auf den Richtplatz Am Hof.

Ein unguter Ort, dieser kahle, weite Platz. Nicht nur wegen seiner grausigen Historie, sondern auch, weil hier ein weiters Über seine geisterhafte Manifestation zu haben scheint: der Krieg. Im prächtigen barocken Zeughaus scheint er sein Wiener Domizil aufgeschlagen zu haben. Jedenfalls wird berichtet, dass von hier Waffenlärm zu hören ist und schattenhafte Soldaten durch die Räume ziehen, sobald Wien in Gefahr ist.

Wohin sie ziehen? Wer weiß das schon so genau. Vielleicht in die Hofburg, um dort einen geisterhaften Kaiser zu schützen. In Teil II dieses nächtlichen Spaziergangs werden wir ihnen dorthin folgen.

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Meine Tipps:

- Wer sich mit Spuk in Wien beschäftigen möchte, dem sei die Webseite der Vienna Gosthunters empfohlen: https://viennaghosthunters.net. Gruseln garantiert.

- Viele Spukerscheinungen haben ihren Widerhall in den Wiener Stadtsagen gefunden. Eine gute Zusammenstellung: http://www.suf.at/wien/sagen_uebersicht.htm

- Wer sich intensiver mit dem Paranormalen in Wien auseinandersetzen will und den Austausch mit Gleichgesinnten sucht, ist hier bestens aufgehoben: https://www.paranormal.wien/

 

© Hartmut Schulz 2023

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