Geisterstunde Teil 2: Kopfkino

Maria am Gestade bis Albertinaplatz (1. Bezirk Innere Stadt)

Ein herzliches Willkommen zurück zum zweiten Teil des Rundgangs zu Wiens Spukhäusern und Geister-Gassen. 

Der erste Teil hatte ja etwas abrupt auf Wiens alter Hinrichtungsstätte Am Markt geendet, so abrupt in etwa, wie dort dem Leben der Verurteilten ein Abschluss gesetzt wurde. Wobei – just darin scheint das Problem zu bestehen: Trennen sich Seele und Leib unerwartet, verliert manch armes Geistlein die Orientierung und verfehlt den Weg ins Licht der Ewigkeit.

So etwa auch an der nächsten Station, auf dem Vorplatz der wunderschönen gotischen Kirche Maria am Gestade. Zwischen all den nächtlichen Schatten kriecht hier ein Dunkel über den Boden, das nicht durch vorbeifahrende Autos oder das Licht des wandernden Mondes verursacht wird. Langsam gleitet es von der Salvatorgasse kommend auf das Portal der Kirche zu. Aber ach: es erreicht die Türe nicht.

Es ist dies dem Vernehmen nach der Geist der 82-jährigen Luise Weißlich. Die alte Dame hatte sich zum Ende des 18ten Jahrhunderts aus einem in Flammen stehenden Haus mit schwersten Verbrennungen in Richtung der Kirche zu retten versucht. Wenn es schon mit dem Leib aus wäre, so wollte sie doch um ihrer Ewigkeit willen nicht ohne die heiligen Sakramente sterben. Doch kurz vor dem Tor verließen sie die Kräfte. Und so ist es nun ihr Schatten, der nächtens versucht, das zu Lebzeiten versagte Ziel zu erreichen.

Sollte an dieser Spukgeschichte etwas dran sein – und wer des Abends vor dem hoch in den Nachthimmel aufschießenden Kirchenbau steht, mag das durchaus für vorstellbar halten – dann scheint die Welt  der Geister eine unbarmherzige zu sein, schließlich hat Luise ihr Bestes versucht.

Vielleicht sollte sie, nach nahezu 250 Jahren ergebnisloser Bemühungen, die Richtung wechseln und statt nach Maria am Gestade die nahe Wipplinger Straße bis zur Ecke Renngasse hinuntergeistern. Von einer Wohnung im fünften Stock dieses Hauses weiß der Autor Alfred Ballabene zu berichten, dass hier, neben einer Zahl eher unangenehmer Spukgestalten, auch der Geist einer alten Zugehfrau lebt (lebt? – nunja), die ihn abends zudeckte und seinen Schlaf bewachte. Eine solch liebevolle Zuwendung würde sicher auch der armen Luise guttun …

Übrigens scheint das Nachleben als Wiener Schattenwesen eine ausgeprägt bürgerliche Betätigung zu sein, wie später auch noch die Hofburg nahelegen wird. Herumgeisternder Hochadel ist außerordentlich selten, und so ist es im nächsten Spukhaus am Wegesrand, dem Palais Mollard in der Herrengasse 9, denn auch ein erschossener Förster, der für nächtliche Unruhe sorgt. In früheren Zeiten tat er dies durchaus effektvoll vor den Angehörigen der jeweiligen Besitzerfamilie und der später dort untergebrachten britischen Botschaftsdelegation. Seite 1922 sind Museen im Haus installiert, was seine Möglichkeiten auf das Erschrecken jeweiliger Nachtwächter beschränkt. Sic transit gloria mundi spiritu.

Sehr real wird die Beunruhigung hingegen an der nächsten Station dieses Spaziergangs, dem Hof rund um die Minoritenkirche. Und das sogar, ohne dass es besonders auffällige Legenden von hier zu berichten gäbe. Es ist vielmehr die eigene Imagination, die, unterstützt durch die schweflig-gelbe Nachtbeleuchtung des Arkadengangs und die eigenartige Stille, die über diesem ehemaligen Friedhof liegt, für einen flaues Gefühl im Magen sorgt.

Ihnen ergeht es hier nicht so?

Hier wurden bis zur Zeit Josephs II die Toten der umliegenden Straßen bestattet, auch die der Pest- und Pockenepedemien. Während solch einer schrecklichen Heimsuchung war Eile angesagt, die Opfer unter die Erde zu bringen, um dem „tödlichen Hauch“ der oft mit offenen Wunden und schwärenden Eiterbeulen übersäten Leichen zu entkommen. Schnell wurde ein Sarg herbeigeschafft, der oder die teure Verblichene mehr hineingeworfen denn gelegt, vielleicht noch mit einem Kruzifix in den zum Gebet gefalteten Händen – dann schloss sich der Deckel. Hinab in die Grube ging es, Kalk darauf, eine Lage Erde, und dann schon die nächste Reihe Särge.

Und so lagen sie, eng an eng gepackt und fest verschnürt, in der Gnade Gottes und harrten der Wiederauferstehung – die Pesttoten Wiens.

Und grausamer Weise nicht nur die Toten.

Als der Friedhof der Minoritenkirche 1784 aufgelassen wurde, fand sich ein seltsames Grab. Das Skelett des Toten lag nicht auf dem Rücken, es hockte, den gekrümmten Rücken gegen die Bretter des Sargdeckels gepresst, auf den Knien. Es war dies Zeugnis eines letzten, verzweifelten Versuchs des lebendig Begrabenen, seinem engen, dunklen Gefängnis zu entkommen.

Klappt es jetzt mit dem beklemmenden Gefühl?

Um es wieder loszuwerden, empfiehlt sich der Weg zur nahen Hofburg.

Obwohl grade von hier viel gemunkelt wird, ist die Atmosphäre der Burg auch in tiefster Nacht wenig düster. Wer soll hier nicht alles spuken: die Weiße Frau, Otto der Fröhliche, die Karle iV und V, Rudolf II, Marie Antoinette, Sisi, Kronprinz Rudolf etc., etc. Leider wurden all diese hohen Verblichenen „in letzter Zeit nicht mehr gesehen“ – was den Verdacht nahelegt, dass hier erdichtetes Geister-Dasein eher zum über den Tod hinaus gepflegten Image dieser leicht schrägen Mitglieder des Erzhauses gehört als dass hier wirklich etwas zu erleben wäre.

Berichte bis in unsere Tage hinein gibt es hingegen über schattenhafte Bedienstete, die des Nachts über die einsamen Treppen huschen und aus den runden Fenstern der Kuppel nach nie eintreffenden Depeschen oder nie zurückkehrenden Liebhabern Ausschau halten. Diese erbarmungswürdigen Geister haben ihren Auftrag, auf ewig im Auftrag Habsburgs zu stehen, etwas zu wörtlich genommen.

Magisch und voll der wunderbaren Atmosphäre des plötzlich Unbekannten ist die Hofburg bei Nacht, wenn man die Muße hat, sich einmal gründlich umzuschauen. Alles schaut anders, verändert, lebendiger aus, aber gruselig? Nein, dafür muss man schräg über den Vorplatz gehen.

Selbst bei Tag ist das Innere der Michaelerkirche ein düsterer Ort. 

Bei Dunkelheit steigert sich die latente Klaustrophobie, die dieser verwinkelte Ort mit all den Grabplatten, den fratzenhaft-zerschlissenen Fresken und den im Licht der Votivkerzen zuckenden Heiligenfiguren, ins Unerträgliche. Selbst der harmloseste Gegenstand ist verhext. Wer weiß schon, dass sich hinter den beiden unscheinbaren Beichtstühlen im südlichen Querschiff der Zugang zu den verrufenen Katakomben verbirgt? Kein Wunder, dass man es, wenn man sich eine Weile allein in diesem Bau aufhält, aus allen Ecken und Winkeln Flüstern und Summen hört. Nichts wie raus hier.

Inzwischen ist die Mitternacht fast erreicht, Zeit, den Endpunkt des Spaziergangs auf dem Platz gegenüber der Albertina zu erreichen. 

Auf dem Weg sollte man dem Haus Augustinerstraße 12 einige Beachtung schenken. Hier lebte zu Begin der Neuzeit die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory. Sie war, die vorhandenen Quellen lassen diesen Schluss zu, eine Sadistin reinsten Wassers. Unter anderem soll sie im Innenhof des Hauses im tiefsten Winter junge Mädchen mit Wasser übergossen haben, bis diese zu Eissäulen erstarrten, ehe sie Ihnen die Adern aufschnitt. Sie ist aber eher ein Fall für die Wiener Kriminalgeschichte. Denn: eine Vampirin, eine Untote, war sie nicht. Und nach ihrem makabren Ende auf Burg Čachtice (man mauerte sie lebendig ein) war auch Schluss mit den grausamen Vorkomnissen in ihrem Wiener Palais. Eine Dame, die mich freundlicherweise in den Innenhof einließ, versicherte mir jedenfalls glaubhaft, dass von Spuk im Haus nicht die Rede sein könne. Überhaupt scheinen die Bewohner mit Humor auf den zwiespältigen Ruf ihrer Wohnadresse zu reagieren: Aus einem hochgelegenen Fenster wird von irgendeinem Witzbold ein blutroter Fleck auf die Fassade der gegenüberliegenden Augustinerkirche projiziert…

Das wirkliche Grauen hingegen lauert auf dem Platz gegenüber der Albertina, auf dem das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus von Alfred Hrdlicka steht. Und nein, dies ist keine Anspielung auf das umstrittene Kunstwerk. An diesem Ort fällt die Erinnerung an den sehr realen Horror der Bombennächte des Weltkriegs mit dem anhaltenden Aufschrei der unter dem Straßenpflaster begrabenen Toten zusammen. 

Hier stand der Philipphof, der am 12. März 1945 in einem Fliegerangriff unterging. Die Bewohner hatten versucht, sich in die Luftschutzräume unter dem Haus zu flüchten, das über ihren Köpfen zusammenbrach. Wie viele von ihnen noch tagelang darauf warteten, aus den stickigen Kellern befreit zu werden, ist nicht bekannt. Man hat die Toten des Philipphofs nie geborgen.

Vielleicht kann die alte, zerbrechliche Dame, die des Nachts so gerne unter den Bäumen der kleinen Grünanlage sitzt, mehr davon erzählen. Sie ist eine von ihnen.

Nachtrag:

Mein persönlicher Gruselort? Die Blutgasse.

Ich bin ganz sicher, dass ich ein Stück des Wegs durch diese Gasse von einer übergroßen grauen Katze begleitet wurde. Ich konnte sie die ganze Zeit über aus dem Augenwinkel genau sehen.

Aber immer, wenn ich mich nach ihr drehte, war da nichts. Sehr seltsam…

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Meine Tipps:

- Wer sich über Spuk in Wien auf dem Laufenden haten will, sollte hier auf Facebook der Autorin Gabriele Hasmann folgen, die die Materie kennt wie keine Zweite und immer wieder Nees zu berichten hat.

- Die wohl populärsten Geschichten ranken sich um die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory. Sie war sogar dem ORF eine Sendung wert: https://www.youtube.com/watch?v=wbhNVkIJeR4

 

 

© Hartmut Schulz 2023

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