Blau mit weißen Wölkchen

Die barocken Kirchen der Inneren Stadt (1. Bezirk Innere Stadt)

Auch wenn Wien wie kaum eine andere Metropole das gute Wetter für sich gepachtet zu haben scheint, es gibt sie auch hier, die trüben Tage, mitunter sogar die trüben Wochen. Dann hängen Regen und Nebel über der Stadt, der Wind bläst durch die engen Gassen und die Farben der Häuser weichen einem bleiernen Grau.

Wie gut tut es dann, dass es in Wien einen zweiten Himmel gibt, einen inwendigen, beschützten Himmel, auf ewig blau und golden, mit weißen Wölkchen und blinkenden Sternchen, mit lachenden Engeln und gütig dreinblickenden Heiligen. Nichts hilft gegen eine aufkeimende Herbstdepression so gut wie ein Besuch in den barocken Kirchen – insbesondere – der Inneren Stadt.

Wobei: das erste Gotteshaus, zu dem der heutige Rundgang führt, steht streng genommen gar nicht im Stadtzentrum. Kaiser Karl VI ließ die Kirche, die er 1713 bei Ende einer Pestepidemie zu bauen gelobt hatte, außerhalb der Stadttore auf einem Weinberg in der Wieden anlegen. Johann Bernhard Fischer von Erlach – Architekt unter anderem des Winterpalais, des Palais Trautson, der Hof – bzw. jetzigen Österreichischen Nationalbibliothek und der Hofstallungen (heute MQ) – gewann die Bauausschreibung und bescherte Wien damit eines seiner ikonischsten Wahrzeichen, die Karlskirche.

Sie ist im Äußeren und Inneren ein Musterbild des Spätbarocks. Und auch wenn etliche, der andauernden Renovierung geschuldete Einbauten den Gesamteindruck wohl noch auf Jahre hinaus beeinträchtigen, der Qualität der Architektur und der Ausstattung kann man sich nicht entziehen.   

Hier ist nicht der Platz, auf die Details einzugehen (was im Übrigen auch für die anderen, in diesem Post noch vorzustellenden Kirchen gilt), es sei auf die einschlägige Literatur, vor allem auf den Kirchenführer, den man zusammen mit dem Eintrittsticket an der Kassa erhält, und auf die Bilder dieses Beitrags verwiesen. Eines ist gewiss, der Innenraum gehört weltweit zum Beeindruckendsten, was die Epoche zu bieten hat.

Allerdings – spätestens im Patrozinium zeigt sich das Janusgesicht der Zeit: So heiter und gelöst der Bau daherkommen mag, gewidmet ist er einem der unsympathischsten Protagonisten der Gegenreformation, Karl Borromäus.

Der harte Zusammenprall von sinnlichem Aufschwung und religiösem Fundamentalismus ist dabei kein Zufall, ganz im Gegenteil: Der Barock ist, zumal im liturgischen Gewand, immer beides, Feier des Glaubens und Kampf um die reine Lehre. Der Kirchenraum als Theatrum sacrum, als geistliches Theater, ist dabei eine Erfindung der Zeit. Wir werden ihm in der Jesuitenkirche in höchster Vollendung wiederbegegnen.

„Schön“ ist deshalb auch die falsche Kategorie für die barocken Kirchen im Herzen Wiens. Sie wollen nicht gefallen, sie wollen überwältigen. Was ihnen durchweg auf beeindruckend künstlerischem Niveau gelingt. 

Dafür legt auch die Annakirche, die nächste Station auf diesem Stadtspaziergang, Zeugnis ab.

Äußerlich unauffällig in den Straßenverlauf der Annagasse eingebettet, gilt ihr Inneres Vielen als schönster Barockraum Wiens. 

Es fällt schwer, dem zu widersprechen. Die Innenausstattung aus der ersten Hälfte des 18ten Jahrhunderts wirkt wie aus einem Guss und ist handwerklich überragend. Kein Wunder, waren doch die führenden Kräfte jener Zeit am Werk, allen voran Daniel Gran, der das farbenfrohe Deckengemälde schuf.

Dass eine barocke Ausgestaltung nicht immer mit einem Rausch an Farbe einhergehen muss, zeigt die nächste Kirche auf dieser Route. 

In der Franziskanerkirche St. Hieronymus dominieren Braun- und Goldtöne, zudem fehlen dem langgestreckten Kirchenschiff Fenster. Mindestens bei schlechtem Wetter fällt durch die hochliegenden Rundbögen kaum Licht, was dem Raum ein düsteres Aussehen verleiht. Die Ausstattung tut ein Übriges, diesen Eindruck zu vertiefen: Zwischen verwirbelten Ornamenten winden sich gepeinigte Seelen nebst die Hände himmelwärts reckenden Heiligen. Dazwischen Knöchelchen, Läppchen und Schweiß- oder Blut-Phiolen aller nur vorstellbaren Märtyrer in hölzernen Reliquiengehäusen. Besonders morbid sind die beiden Schreine der Hl. Hilaria und des Hl. Benignus.

Die zuständigen Patres des nebenanliegenden Klosters nehmen das finstere Ambiente anscheinend mit einer Prise Humor. Als ich die Kirche besuche, tönt zeitgenössische Orgelmusik durch den Raum. Mir sagte die Musik durchaus zu, nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass die expressiv-atonalen Tonkaskaden die Atmosphäre der Kirche endgültig in Richtung – dies ist im Sinne des geistlichen Spektakels natürlich nicht despektierlich gemeint – Geisterbahn kippte.

Glaubt man den Bildern im Internet, ist die in der Nähe liegende Dominikanerkirche deutlich freundlicher ausgestaltet. Leider ist sie derzeit nicht zu besichtigen, der Innenraum wird bis 2022 restauriert.

Dennoch lohnt – wenn man Glück hat und zur rechten Zeit hier ist – der Weg die Postgasse hinunter, denn es gilt, ein kleines Juwel zu entdecken: Das Barbara-Kirchlein dient heute der Ukrainisch-unierten und der griechisch-katholischen Gemeinden Wiens. Hinter der Fassade aus dem 19ten Jahrhundert verbirgt sich ein entzückender Kirchenraum in reinstem Rokoko. Leider ist die Tür meist verschlossen.

Theatrum sacrum – der Ausdruck fiel bereits, beschreibt aber keine Wiener Kirch so zu Recht wie das nächste Gotteshaus, die Jesuitenkirche Mariä Himmelfahrt neben der Alten Universität. Schon wer sich ihr von der Rückseite über die Schönlaterngasse nähert, kann ahnen, was bevorsteht. Aus der Wand ragt ein gläserner Kasten, heute besonders in Auge gerückt durch die darin leuchtenden Neonröhren. Es ist, man kann es nicht anders bezeichnen, die Hinterbühne, nur gebaut, um dem Hauptaltar eine möglichst effektvolle Beleuchtung zu garantieren.

Und effektvoll sind Altar und Kirchenraum in der Tat!

Eigentlich sind die ganzen Fresken, Schnitzereien, verdrehten Säulen, vergoldeten Skulpturen, Logen, Scheinarchitekturen und Kulissen für uns Heutige deutlich zu viel des Guten – es flimmert förmlich vor den Augen. Was diese Kirche dennoch zu einem Kunstwerk ersten Ranges macht, ist die schier unglaubliche Qualität dieses Bombasts. Eindrucksvollstes Beispiel: die Scheinkuppel mit der Darstellung Gottvaters im Kirchenschiff. Schaut man von dem kleinen hellen Stein auf dem Kirchenboden nach oben, ist der plastische Eindruck atemberaubend.

Auf dem Weg zur nächsten „großen“ Barockkirche Wiens sollte man einige Kleinodien beachten, so die Capistrankanzel an der Fassade des Stephansdoms, die wunderbare kleine Orgel in der Malteserkirche auf der Kärntner Straße und das expressive Wolken- und Engelsgewirr der Pestsäule am Graben.

Das wahre Schatzhaus dieses Abschnitts des 1. Bezirks ist aber St. Peter mit seiner gewaltigen Kuppel, der ältesten im barocken Wien.

Auch hier findet sich im Inneren kein Quadratzentimeter, der nicht bemalt, stuckiert, geschnitzt oder modelliert wäre. Dennoch ist der Eindruck keinesfalls so überbordend wie in der Jesuitenkirche, die insgesamt gedämpfter Farbgebung sorgt für ein einheitlich harmonisches Empfinden. Die Wirkung der Peterskirche als „beruhigend“ zu bezeichnen, wäre gleichwohl verfehlt, aber das will sie – wie gesagt – als typisches Kind ihrer Zeit ja auch gar nicht sein.

Wem zum Schluss des Rundgangs der Sinn daher nach einem Vademekum für die überreizten Nerven, nach optischen Detox steht, folge mir zur abschließenden Station, der Kirche am Hof. Der Innenraum ist eine Melange verschiedener Jahrhunderte und Stile, dominiert von den klassizistischen Elementen der letzten Umgestaltung. Um so puristischer das Äußere: Reinweiß und elegant gegliedert beherrscht die frühbarocke Fassade den Platz. Hier ist (noch) nichts Drama und hochgepeitschte Emotion, hier herrschen Zurückhaltung und südländische Eleganz.

Aber man lasse sich nicht täuschen: Auch dies ist geplanter, wohlüberlegter Effekt. Und ein weiteres, wunderbares Blatt in einer wunderbaren Sammlung.

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Meine Tipps:

- Die Barockkirchen Wiens sind ausnahmslos Hort bester klassischer Musik. Hervorgehoben sei die Franziskanerkirche, in deren Mönchschor die älteste Orgel Wiens steht. Informationen zu Führungen und Konzerten unter www.woeckherl-orgel.wien

- Und noch einmal die Franziskanerkirche. Wer genau hinschaut, kann erkennen, dass in der linken Schulter der Marienfigur auf dem Hauptaltar eine Axt steckt. Während der Refomrationszeit, als auch die Mehrheit der Wiener protestantisch waren, hatten Bilderstürmer wohl versucht, die Statue zu zertrümmern.

- Wer Barockmalerei aus nächster Nähe sehen will und außerdem schwindelfrei ist (ich scheide also aus) kann sich in der Karlskirche mit einem Aufzug auf über 30m Höhe in die Kuppel fahren lassen. Die Himmelfahrt ist im Eintrittspreis von 8 EUR inbegriffen.

 

© Hartmut Schulz 2023

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