1. Bezirk, Innere Stadt
Die Wiener Durchhäuser - Passagen, Durchgänge und Höfe der Inneren Stadt
Es verbietet sich für einen Zugereisten natürlich zusammen mit den echten Einheimischen ins gelegentlich tourismusskeptische Wiener Horn zu blasen und diesen Spaziergang unter den Titel „Die Innere Stadt abseits der Touristen“ zu stellen. Einigen wir uns also auf „Die Wiener Durchhäuser - Passagen, Durchgänge und Höfe der Inneren Stadt". Das klingt unverbindlicher und führt auf die gleichen Wege...
Ausgangspunkt des Spaziergangs ist eine der architektonischen Ikonen der Innenstadt, das Palais Ferstel. Heute inklusive des darin befindlichen Café Central ein Sinnbild des imperialen Wiens, galt das Gebäude zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung im Jahr 1859 als geradezu revolutionär neumodisch.
Warum, das werden wir gleich sehen, zunächst gilt es mit mehreren Irrtümern aufzuräumen.
Zunächst einmal war Heinrich von Ferstel keineswegs der Besitzer und Erbauer des Palais. Er war lediglich der Architekt. Bauherrin war die „k.k. privilegierte österreichische Nationalbank“ unter ihrem Direktor Franz von Pipitz. Eigentlich müsste der Bau also Palais Pipitz heißen – was aber nicht halb so schön klänge.
Zum zweiten aber – und das ist wesentlich überraschender – ist das Palais gar kein Palais. Es war nie als Wohngebäude geplant, vielmehr sollte hier von vorne herein das entstehen, was wir auch heute noch sehen: ein elegantes Bürohaus mit den Räumen der Nationalbank und der Börse, dazu ein Café und, darin eine Neuerung für die Zeit, ein der Öffentlichkeit zugänglicher „Basar“. Es ist der Wiener Prototyp der Einkaufspassage.
Etwas komisch aus heutiger Sicht wirkt die Vorgabe von Pipitz an den Architekten, das Gebäude „bei Vermeidung eines wertlosen Luxus“ zu konzipieren, ist das Palais Ferstel doch heute geradezu der Inbegriff von Luxus, mit der üppigen Sandsteinfassade, dem edlen Marmor im Inneren, seinem bronzenen Donaunixenbrunnen und den feinen Deckenmalereien. Führt man sich aber vor Augen, dass das Gebäude nur wenig älter ist als der überbordende Schwulst der Neuen Burg, kann man sich in etwa vorstellen, was die damalige Zeit unter schlichter Eleganz verstand.
Doch genug von diesem Gebäude, das – so faszinierend es ist – doch nur Ausgangspunkt unseres Spaziergangs durch die Wiener Durchhäuser, die verborgenen Passagen, Innenhöfe und Laubengänge der Inneren Stadt ist.
Inzwischen sind die Wiener Durchhäuser, also Häuserkomplexe, durch deren der Allgemeinheit zugänglichen Passagen und Innenhöfe man von einer Straße zur anderen kommt, kein Geheimtipp mehr. Durch die populärsten führen Stadtführer Touristengruppen und in etlichen liegen bekannte Geschäfte oder Wirtshäuser. Und trotzdem: im Vergleich zur Kärnter Straße, zum Kohlmarkt oder zum Graben herrscht hier auch zu belebtesten Zeiten eher Ruhe. Und wer mit offenen Augen durch den 1. Bezirk geht wird Sträßchen, Passagen und Winkel finden, in denen er/ sie mitten in der touristischen Hochsaison allein ist.
Eines der bekanntesten dieser Durchhäuser liegt direkt am Michaelerplatz, vom Palais Ferstel schnell über die Herrengasse zu erreichen. Und nein, gemeint ist nicht die Hofburg, obwohl sie streng genommen sämtliche Kriterien eines Durchhauses erfüllt. In unserem Falle aber geht der Weg durch einen kleinen Torbogen rechts der Michaelerkirche, um plötzlich aus dem neubarocken Pathos des Platzes mitten im Wiener Mittelalter zu landen. Hier ist alles klein, nicht kaiserlich, sondern Butzenscheiben-bürgerlich. Ein zwergenhafter grüner Kiosk setzt einen Akzent, daneben eine Skulpturengruppe, „Christus am Ölberg“ von 1494. Darüber der Kirchturm.
Eine wohltuende kleine Oase, ehe man durch das gegenüberliegende Tor wieder auf die belebte Habsburgergasse tritt.
Aber keine Sorge: die nächste Stadtoase liegt nur einen Katzensprung weiter, in der Bräunerstraße 3. Hier wurde 1801 Johann Nestroy geboren. Und selbst der, dem der große Dramatiker nichts mehr sagt, wird die plötzliche Ruhe und die grün überwucherte klassizistische Architektur des 1781 gebauten Hauses mit seinem großen Pawlatschenhof genießen.
Der echte Geheimtipp dieser Straße liegt aber noch ein paar Häuser weiter. Am Ende der Straße führt rechterhand eine kleine Passage zu einem Modegeschäft. Was man von außen nicht sieht: im Inneren macht der Gang einen Bogen nach links und führt direkt am Generalihof auf den Graben. Zu sehen gibt es nicht viel, aber man spart ein paar Meter Gedränge und ist für eine kurze Weile tatsächlich (fast) allein inmitten des Gedränges der Inneren Stadt.
Nun aber heißt es, sich in den Strom einfädeln und sich bis zur Nordseite des Stephansdoms treiben lassen. Hier, neben dem Eingang zum Dommuseum, verbindet der Zwettlhof den Stephansplatz mit der Wollzeile. Ein unspektakulärer, aber praktischer Durchgang, interessant eigentlich nur für Tee-Enthusiasten, die hier seit fast 150 Jahren beim TeeGschwendner ihren Bedarf decken können.
Die dem Ausgang Wollgasse gegenüberliegende Passage durch den „Schmeckender-Wurm-Hof“ auf die Bäckerstraße ist architektonisch und historisch interessanter. Zum einen ist der schmale Gang bezaubernd, zum anderen spielt hier eine der Sagen aus dem mittelalterlichen Wien: in einem der Keller soll ein ganz grässlich stinkender Drache zu Hause sein.
Heutzutage riecht es hier allerdings nicht mehr nach „Wurm“ sondern schlimmstenfalls nach Frittiertem: der Figlmüller, einer der bekanntesten Lokale der Stadt hat (u.a.) hier seine Niederlassung. Entsprechend hoch ist die Passanten-Dichte in dem engen Durchgang.
Ein gänzlich anderes „Durchhaus“, eher ein „Durchherrenhaus“ erreicht man dann mit dem Heiligenkreuzerhof zwischen Schönlaterngasse und Grashofgasse. Die Anlage umfasst die ältesten Zinshäuser Wiens aus dem 12. Und 13. Jahrhundert. Auch wenn der Gesamtkomplex heute barock daherkommt: nur wenige Zentimeter unter dem strahlend weißen Putz der Gebäude liegt das babenberger Mittelalter. Eine Oase der Ruhe mitten im 1. Bezirk, die auch einer der prominentesten Wiener zu schätzen wusste: in einer der Wohnungen starb 1986 der legendäre Helmut Qualtinger.
Seinen „Einsamkeits-Zenit“ aber erreicht dieser Stadtspaziergang in der Jesuitengasse, die den Bogen von der Schönlaterngasse wieder zurück auf die Bäckerstraße schlägt. In der schmalen Gasse zwischen der Universitätskirche Mariä Himmelfahrt ist mir zumindest an diesem Nachmittag niemand begegnet. Im 1. Bezirk! In Wien!
Überhaupt ist es in diesem Teil der Inneren Stadt erstaunlich ruhig. In den wunderbaren Renaissancehof am Haus Nummer 7 trifft man trotzt rot-weiß-roter Wimpel an der Hausfassade niemanden, und das Durchhaus zwischen Bäckerstr. 4 und Wollzeile – für mich architektonisch das schönste Wiens – taucht in keinem Touristenführer auf.
Bekannt, aber finster und ungastlich ist hingegen die finstere Passage, die an der Ostseite des nahen Stephansdoms den Platz mit der Domgasse verbindet. Nicht so sehr um ihrer selbst willen allerdings, sondern weil sich dahinter das Mozarthaus befindet. Von hier also schaute der kleine große Komponist in seinen letzten Jahren auf den Dom, an dem er so gerne Kapellmeister geworden wäre. Das „hitzige Frieselfieber“ machte ihm einen Strich durch die Rechnung…
Sein Viertel, das Blutgassen-Viertel zwischen Domgasse, Blutgasse, Grünangergasse und Singerstraße ist eines der ältesten Wiens, und auch wenn sich nur wenig Bausubstanz erhalten hat – der ganze Bereich ist ein einziges großes Durchhaus, in dessen Passagen, Gängen, Treppchen und Winkelchen sich nicht-Einheimische wunderbar verlaufen können (ich weiß wovon ich rede…). Hier lebt noch das Mittelalter fort und nach Einbruch der Dunkelheit wäre man nicht überrascht, Landsknechten, Kräuterweiblein oder einem Nachtwächter zu begegnen.
Über die Singerstraße erreicht man dann – mit einem Schlenker in den schön begrünten Innenhof in Haus Nr. 22 – den historischen Kristallisationspunkt dieses Grätzels und den Endpunkt dieses Stadtspaziergangs: das Deutschordenhaus. Das große Durchgangshaus mit seinen zwei Innenhöfen, und der kleinen, intimen St. Elisabethkirche ist seit Jahrhunderten Sitz des Deutschen Ordens in Wien. Heute ist es sogar der Sitz des Hochmeisters.
Aber, wichtiger als all das: „Mozart was here“ – und mit der Einsamkeit ist es vorbei.
(Stadtspaziergang 28.09.2019)
Meine Tipps:
Wer inmitten größten (nicht nur) touristischen Andrangs alleine sein will: im legendären Café Central (www.cafecentral.wien) herrscht noch Alt-Wiener Kaffeehausgemütlichkeit. Wer sitzt, sitzt und kann bei einer Melange und einem guten Buch Zeit und Raum um sich herum vergessen.
Der Zwettlhof am Stephansplatz ist vielleicht kein Juwel, das an ihm gelegene Dom Museum (www.dommuseum.at) aber schon. Unbedingt hineingehen, wenn man schon hier ist.
Ein Abend im Blutgassen-Viertel. Sehr viele Wirtschaften und Restaurants gibt es her nicht, aber die, die es gibt sind stimmungsvoll. Wenn man bei warmen Wetter draussen sitzen kann ist die Stimmung mittelalterlich-anheimelnd wie an keinem anderen Ort in Wien.
Wer inmitten größten (nicht nur) touristischen Andrangs alleine sein will: im legendären Café Central (www.cafecentral.wien) herrscht noch Alt-Wiener Kaffeehausgemütlichkeit. Wer sitzt, sitzt und kann bei einer Melange und einem guten Buch Zeit und Raum um sich herum vergessen.
Der Zwettlhof am Stephansplatz ist vielleicht kein Juwel, das an ihm gelegene Dom Museum (www.dommuseum.at) aber schon. Unbedingt hineingehen, wenn man schon hier ist.
Ein Abend im Blutgassen-Viertel. Sehr viele Wirtschaften und Restaurants gibt es her nicht, aber die, die es gibt sind stimmungsvoll. Wenn man bei warmen Wetter draussen sitzen kann ist die Stimmung mittelalterlich-anheimelnd wie an keinem anderen Ort in Wien.