1. Bezirk, Innere Stadt
Auf der Ringstraße (Teil 3 Baustelle Demokratie)
Ich habe lange gezögert, diesen dritten Teil des Ringstraßen-Stadtspaziergang anzugehen. Der Grund? Ganz einfach: der Dr.-Karl-Renner-Ring und der Universitätsring direkt am Rathaus, Herz der Demokratie in Österreich, die diesmal im Zentrum stehen sollen, sind derzeit eine einzige Baustelle. Aber zum einen wird dieser nicht wirklich attraktive Zustand wohl noch einige Zeit andauern, zum anderen aber sagen vielleicht grade die vielen Bauzäune, Abschirmungen, Verschalungen und Flatterbänder mehr über diese Stadt, über dieses Land aus, als der Hochglanz-polierte Endzustand.
Präsidentschaft, Bundeskanzleramt, Parlament, Rathaus – die Gebäude dieser zentralen Institutionen der Demokratie werden zur Zeit umfassend saniert. Selbst im Volksgarten, dieser demokratischen Geste des siechenden Habsburgerreiches, wird Österreichs großer Dramatiker Grillparzer mit einer Stahlabsperrung daran gehindert, das Weite zu suchen. Und vis a vis liegt das Burgtheater – DAS Heiligtum des gesprochenen, freien Worts in deutschsprachigen Raum – dank Corona im Dornröschenschlaf inmitten aufgerissener Straßen und verhängter Hausfassaden.
Ist die Demokratie hierzulande wirklich so renovierungsbedürftig?
Man kann es auch anders sehen. Ich sehe es anders. Während ringsum der Populismus fröhliche Urstände feiert, investieren hierzulande Republik und Stadt viel Geld, Zeit und Ressourcen in den Erhalt und die Modernisierung ihrer demokratischen Kronjuwelen.
Das ist mehr als eine Geste, das ist ein Bekenntnis zu den Grundwerten, die sich in diesen Bauwerken manifestieren. Und das ist allemal ein paar Jahre mit Bretterzäunen und Baucontainern wert.
Architektonisch ist es ohnehin eine nicht zu beantwortende Frage, ob die rund um den wunderbaren Rosengarten liegenden Gebäude eher Augenschmaus oder Augengraus sind. Angefangenen vom Betonklotz des Denkmals für die Verfolgten der NS-Militärjustiz im Zwickel zwischen Ballhausplatz und Volksgarten, über den irritierend sinnfreien Theseustempel in seiner Mitte bis zum Parlamentsgebäude – pseudogriechisch als Reverenz an die attischen Erfinder der Demokratie – und zum Rathaus – pseudo-flämisch-gotisch als Reverenz an den Beginn des freien Bürgertums in Europa - ist hier ein Sammelsurium heterogenster architektonischer Stile auf engstem Raum gebaut, das jedem ästhetisch empfindenden Menschen die Tränen in die Augen treiben muss. Andererseits aber hat jedes dieser Ungetüme seine Rechtfertigung, jedes Gebäude musste genau so gebaut werden, um dem Geist, aus dem es entstand, architektonischen Ausdruck zu verleihen.
Also werfen wir einmal einen genaueren Blick darauf, was sich alles hier, im Herzknoten Wiens, finden lässt.
In der Mitte der Volksgarten, wie gesagt, eine Geste der Habsburger an die Wiener Bevölkerung. Ursprünglich als Gartenanlage zur Nutzung durch die Erzherzöge vorgesehen, wurde das Gelände 1823 als erstes kaiserliches Areal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Hinter dem noblen Geschenk stand Berechnung: nachdem man im Rahmen der Restauration in der nachnapoleonischen Ära dem Volk die ersehnte Freiheit vorenthalten hatte, brauchte es eine kleine Geste. Nun konnte sich der gemeine Pöbel hier – direkt unter den Augen der Palastwache – ergehen, statt in dunklen Winkeln zu konspirieren. Ein erfolgreicher Schachzug, den der Volksgarten wurde tatsächlich von der Bevölkerung begeistert angenommen.
Beliebt ist die Anlage mit ihrem herrlichen Rosenbestand bis heute. Auch dies – indirekt - ein Geschenk des Kaiserhauses: der Garten hätte für den Bau des Spiegelflügels der Neuen Hofburg niedergelegt werden müssen. Allein Habsburgs ewig leere Kassen verhinderten dies.
Aus der Zeit der Entstehung stammt im Übrigen der bereits erwähnte Theseustempel von Peter von Nobile. In ihm wurde die von Kaiser Franz I erworbene Theseusgruppe von Antonio Canova aufgestellt – einen weiteren Zweck erfüllte das Gebäude nicht. Ein Tempel im Vorgarten war einfach très chic.
Wie überhaupt das Erzhaus eine Vorliebe für das Griechische hatte: bei der Einweihung des zugegebenermaßen stimmungsvollen Elisabeth-Denkmals in unmittelbarer Nähe des Tempels (und fast 100 Jahre später) streuten in Anwesenheit des Kaisers in griechische Gewänder gehüllte Mädchen den Boden mit Rosen. Der graecophilen und leicht überspannten Sisi hätte die Inszenierung sicher gefallen, uns Normalsterblichen bleibt eine secessionistische Gartenanlage mit wunderbaren bildhauerischen Details.
Am diagonal anderen Ende, in direkter Nähe zur Ringstraße und mit freiem Blick aufs Burgtheater liegt ein anderes Denkmal: das für Franz Grillparzer. Interessant sind hier vor allem die Figurenfelder, die Szenen aus seinen Dramen abbilden.
Bedeutender, wenn auch unauffälliger, ist die Erinnerungstafel an Julius Raab an der Außenbegrenzung des Volksgartens. Während seiner Amtszeit wurde 1955 der Staatsvertrag unterzeichnet – und welch ein Ort wäre seinem Andenken würdiger als diese Stelle, zentral gegenüber dem Parlamentsgebäude.
Überhaupt ist die unmittelbare Umgebung des Hohen Hauses dem Gedenken der Väter der Ersten und Zweiten Republik vorbehalten:
linkerhand des Parlaments findet sich das Denkmal für Reumann, Adler und Hanusch, rechts im Park vor dem Rathaus das für Karl Renner.
Verbunden werden beide Gedenkstätten durch die Bretterwand, hinter der sich die Baustelle des Parlaments befindet. Zwischen Containern und Baukränen wird hier Theophil Hansens Vision griechischer Demokratie auf österreichischem Boden vom Schmutz und Staub der Zeit befreit. Wie sich Vorplatz und Gebäude in einigen Jahren präsentieren werden, bleibt abzuwarten, die Plakate am Zaun versprechen Großes. Pallas Athene wird man im Rahmen der Renovierung im Übrigen nicht umdrehen, die Göttin der Weisheit wendet unseren Volksvertretern auch in Zukunft den Rücken zu. Sei es drum – sie werden ihre Aufgabe nichtsdestotrotz meistern.
Ebenso wie ihre Kollegen auf kommunaler Ebene, die im nebenangelegenen Rathaus ebenfalls derzeit mit einer Baustelle vorlieb nehmen müssen.
Bevor man sich diesem Bau nähert, sollte man allerdings ein etwas abseits gelegenes Denkmal im Rathauspark besuchen, bringt es doch das Wesen Wiens ganz wunderbar auf den Punkt: geisterhafte Figuren reichen sich auf dem Relief hinter Strauss und Lanner die Hand zum Tanz, verwittert im ewigen Walzer, nicht mehr ganz von dieser Welt, aber auf ewig beschwingt und vergnügt. Ein stimmungsvoller Ort…
Nun aber: das Rathaus!
Streng genommen ist es nicht das von Wien, sondern das von Brüssel. Zumindest sind die Anleihen, die Baumeister Friedrich von Schmidt in der flämischen Metropole genommen hat, nicht zu übersehen. Und tatsächlich ist es auch der pan-europäische Gedanke (wenn auch natürlich in seiner vor-EU-Ausprägung, sondern in der der 1880er Jahre) der Architekt und Bauherren zu just dieser Bauform bewog: das Rathaus spiegelt die große Zeit der freien Städte des Mittelalters, der Metropolen an Rhein und Maas, die mit ihrem transkontinentalen Handel und ihren weitreichenden Verbindungen ein Gegengewicht zur Macht der Fürsten im Reich gewesen waren. Wien hatte niemals zu diesen Städten gezählt, es war immer Residenzstadt gewesen – aber nun schien es an der Zeit, dem Kaiserhaus zu zeigen, dass die Stadt auch ohne Habsburg zu einer bedeutenden Metropole herangewachsen war. Der Rathausmann, der den mittleren Turm krönt und die nahegelegene Votivkirche um einige Meter überragt, setzt dieser Aussage lediglich die Spitze auf.
In der Hofburg kam die Botschaft jedenfalls an – der Blick von der Neuen Burg zu Rathaus hinüber gehörte anerkanntermaßen nicht zu den Lieblingspanoramen des alten Kaisers.
Wesentlich lieber schaute er hinüber zum Burgtheater, nicht zuletzt, weil seine Freundin (vermutlich war sie tatsächlich „nur“ das: eine gute Freundin) Katharina Schratt dort zum Ensemble gehörte. Damit war sie Mitglied eines Theaters, das bis heute für die deutsche Bühnenkultur steht, wie kein zweites. „Burgtheater-Schauspieler(in)“ – das hat innerhalb der Kulturszene den Stellenwert eines mehrfachen Olympiasiegs.
Dem Haus selbst sieht man es nicht an. Die Architekten Semper und Hasenauer haben ein solide- ansehnliches Gebäude irgendwo zwischen neo-Renaissance und pseudo-Barock entworfen, das so in jeder deutschen Stadt zwischen Koblenz und Rostock stehen könnte. Und dennoch – zu wissen, dass dies „die Burg“ ist, verleiht dem Bau eine unvergleichliche Aura. Hoffen wir, dass sich im Herbst hier der Vorhang wieder öffnet. Es wäre ein gutes Zeichen dafür, dass Wien wieder „normal“ ist.
Dass es so sein kann, dafür steht die letzte Station dieses kurzen Stadtspaziergangs: während Politik und Kultur noch im Dornröschenschlaf liegen, herrscht im legendären Café Landtmann bereits wieder reges Treiben. Kellner schwirren hin und her, und vor dem Haus parken Luxuskarossen aus aller Herren Länder. Vielleicht nicht ganz so viele wie vor Jahresfrist, aber immerhin, hier sieht man: das Leben geht weiter.
(Stadtspaziergang 06.06.2020)
Meine Tipps:
- Auch wenn die Rosen schon stark verblüht sind, der Volksgarten ist eine Oase in der Inneren Stadt. Öffnungszeiten und Infos unter https://www.bundesgaerten.at/hofburggaerten/Volksgarten.html
- Ganz geschlossen hat das Burgtheater derzeit trotz Corona nicht – online bietet es spannendes Theater unter https://www.burgtheater.at/online-programm. Sehr empfehlenswert!
- Auch wenn die Rosen schon stark verblüht sind, der Volksgarten ist eine Oase in der Inneren Stadt. Öffnungszeiten und Infos unter https://www.bundesgaerten.at/hofburggaerten/Volksgarten.html
- Ganz geschlossen hat das Burgtheater derzeit trotz Corona nicht – online bietet es spannendes Theater unter https://www.burgtheater.at/online-programm. Sehr empfehlenswert!