1. Bezirk, Innere Stadt
Auf der Ringstraße (Teil 2 Opernring und Burgring)
Bevor ich mit dieser Stadtwanderung beginne, sei mir eine kurze Vorbemerkung dazu erlaubt. Rein geografisch geht es über den zweiten Abschnitt der Ringstraße, sprich über den Opernring und den Burgring. Wenige hundert Meter Weges nur – und doch so viel mehr, als der begrenzte Raum dieses Beitrags zu beschreiben gestattet. Denn was es hier, zwischen Staatsoper und Heldenplatz, zu bestaunen gibt, hat kulturhistorischen Wert nicht nur für Wien oder Österreich, sondern ist Weltkultur von höchstem Rang.
Bücher über diesen Strassenabschnitt fühlen Regale, wer will, kann sich im Netz oder in der nächsten Buchhandlung umtun und wird aus dem Lesen nicht mehr herauskommen. Es kann in diesem kleinen Beitrag also nicht um eine umfassende Beschreibung der Sehenswürdigkeiten gehen, nicht einmal um eine komplette Auflistung – dafür reicht der Platz nicht.
Beschränkung muss also her. Hier also die selbstauferlegten Spielregeln:
Zum einen wird der Weg wirklich nur über die beiden Ringabschnitte und die direkt daran gelegenen Sehenswürdigkeiten führen. Adieu also Hotel Sacher, Schillerdenkmal, Schmetterlingshaus und (Großteil der) Hofburg. Und zum zweiten werde ich das „Unbekannte“, oder korrekter, das vielleicht „nicht ganz so präsente“, suchen gehen.
Unbekannte Ringstraße also. Beginnen wir doch gleich an der Staatsoper.
Dass ihre Erbauung zwischen 1861 und 1869, Herzensangelegenheit der Wiener Öffentlichkeit, und die Gehässigkeit der Presse nach der Fertigstellung die beiden Architekten van der Nüll und Siccard von Siccardsburg in den Selbstmord, beziehungsweise in den Herzinfarkt trieben, ist hinlänglich bekannt. Längst hat die Stadt ihren Frieden gemacht mit diesem überbordenden Bau, an dem an jeder Ecke, auf jedem Balkon, überhaupt auf jeder sich nur bietenden Fläche eine bronzene oder steinerne Muse, eine Allegorie, ein Monarch oder zumindest ein Hofoperndirektor auf die Passanten hinabschaut. Hier feiert(e) sich das Bildungsbürgertum, denn man muss schon über ein gehöriges Maß an klassischer Bildung verfügen, um das Figurenprogramm richtig einordnen zu können. Dass die beiden Architekten aber durchaus auch an „die kleinen Leute“ dachten, macht ein entzückendes Detail im ersten Stock der rückwärtigen Fassade (also zur Sacher-Seite hin) deutlich: die Putten, die hier Gebäckteller, Schriftblätter oder Schlüsselchen tragen, sind ein kleiner Dank an die Menschen, ohne die der Opernbetrieb nicht stattfinden könnte – an die Portiers, Logendiener, Schließer, Beleuchter etc.. Einige hundert Mitarbeiter auch heute noch, die das Publikum zumeist nicht wahrnimmt.
Apropos Reliefs: während die Staatsoper heute bewundernde Blicke auf sich zieht, dürfte kaum ein Tourist (oder Einheimischer, seien wir ehrlich), die Figurengruppe Ecke Operngasse 8 zum Opernring 4 auch nur wahrnehmen. Zwei Figuren – mit Leier und Maske augenscheinlich Sinnbilder der Musik und der Bühnenkunst – sind an diesem Bau der 50er Jahre angebracht. Durchaus ein qualitätvolles Werk, aber an diesem Ort so marginal, das es mir nicht einmal gelungen ist herauszufinden, wer der Bildhauer ist. Ich bin für jede Information hierzu dankbar.
Überhaupt: die Nachkriegsbauten. Während der der Oper gegenüberliegende Opernringhof von 1956 kein Ruhmesblatt der Wiener Baugeschichte ist, sollte man sich die im Untergrund liegende Opernpassage doch einmal in Ruhe anschauen: der ovale Bau, der meist nur als Verbindung zu den U-Bahnen und zum Karlsplatz wahrgenommen wird, ist 50er-Jahre-Architektur vom Feinsten!
Von hier aus lässt es sich trefflich den Opernring hinunter flanieren. Dieser Abschnitt der Ringstraße war zu seiner Erbauungszeit noch dem reichen Bürgertum vorbehalten, das diese Gelegenheit zu nutzen wusste und am Übergangspunkt zum imperialen Burgring dem Herrschhaus seine Geistesheroen vor die Fenster setzte: etwas abseits Schiller („Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!“), direkt vor den Burggarten Goethe („Welche Regierung die beste sei? Diejenige, die uns lehrt, uns selbst zu regieren.“). Das der bronzene Dichter seinen Blick ostentativ vom Palast abwendet, dürfte weder Zufall gewesen noch vom Hofe unbemerkt geblieben sein...
Der konnte sich allerdings im Burggarten selbst mit gleich etlichen „nobleren Herrschaften“ schadlos halten. Angefangen bei Herkules bis hin zu Kaiser Franz Joseph I. war man hier in standesgemäßer Gesellschaft. Ein Denkmal, gerne übersehen, sei dem Besucher besonders ans Herz gelegt: der bleierne Franz Stephan hoch zu Ross (wir werden dem Gemahl von Maria Theresia auf diesem Spaziergang noch einmal begegnen) aus dem Jahr 1781 ist das älteste Reiterstandbild Wiens.
Ein Kulturgut ganz anderer Art befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite der Ringstraße im Haus Opernring 19: das 1912 gegründete Burg Kino, in dem u.a. Wiens Klassiker „Der dritte Mann“ dauerhaft im Programm zu finden ist, gehört zu den ältesten noch in Betrieb befindlichen Kinos Österreichs.
Kurz hinter diesem Gebäude geht der Opernring in den Burgring über. Abgesehen von zwei Gebäuden vor der Babenberger Straße gibt es in diesem Abschnitt keine Wohnbebauung mehr. Die Liste der öffentlichen Gebäude und Anlagen ist dafür umso länger: der Marien-Theresien-Platz mit dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum, die Neue Burg, von der zumindest das heutige Weltmuseum und das Äußere Burgtor direkt an der Straße liegen, sowie der Heldenplatz.
Wie bereits gesagt: Raum, dies alles zu beschreiben, bietet der Beitrag nicht. Das Augenmerk sei aber auf einige Details gelenkt.
Das 1888 enthüllte Denkmal der weiland Landesmutter inmitten der nach ihr benannten Parkanlage dürfte jedem Wiener bekannt sein. Interessant ist indes nicht die in üblicher Herrscherpose dargestellt Maria Theresia, sondern das restliche Figurenprogramm. Auf den Diagonalen finden sich vier Reiterfiguren mit den Feldherren ihrer Regentschaft, an den Seiten – als freistehende Figuren - ihre prominentesten Berater und im Relief die „VIPs“ ihres Zeitalters. Entzückend: hinter Gerard van Swieten, der Wissenschaft und Kunst symbolisiert, lugt zwischen Gluck und Haydn der kleine Wolfgang Amadeus Mozart vom Podest.
Auch die beiden Museen, die den Platz säumen, bieten natürlich spannende Exponate in Überfülle. Ich erlaube mir, jeweils nur auf einen der ausgestellten Gegenstände hinzuweisen, vor allem aber auf die baulichen Juwelen, die als „Hintergrund“ zu den Ausstellungsgegenständen gerne übersehen werden.
Im Kunsthistorischen Museum haben die Gustav-Klimt-Bilder im Stiegenhaus im vergangenen Jahr anlässlich seines hundertsten Todestages einige Beachtung erfahren. Seitdem aber die Gerüste, die man eigens aufgebaut hatte, um diesen Meisterwerken einmal nahekommen zu können, wieder verschwunden sind, dreht sich kaum noch ein Besucher nach ihnen um. Noch viel weniger wahrgenommen – dabei doch so verräterisch ehrlich – ist die qualitätvolle Büste der (zu der Zeit schon) Dauphine Marie Antoinette von Jean Baptiste Lemoyne II in einer der Galerien. Wer die Arroganz der Macht einmal aus der Nähe betrachten möchte: et voilà.
Mein absoluter Favorit im Kunsthistorischen eignet sich übrigens ideal um über die Kunstwerke des Hauses nachzudenken – oder aber, um das Museum als öffentlichen Ort zu genießen. In der Kuppel, eine Etage über dem berühmten Café, liegen die Räumlichkeiten der Freunde des KHM. Gegen einen Jahresbeitrag von 70 Euro kann man als Mitglied nicht nur dieses Museum als auch seine assoziierten Ausstellen (zum Beispiel das Weltmuseum) besuchen, sondern bei einer von unten mitgebrachten von hier aus auf das Treiben in Café und Museum hinabschauen.
Oder man blickt aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Naturhistorische Museum.
Dort wie hier dasselbe architektonische Konzept: eine gigantische Kuppel in der Mitte, Säle, deren Ausstattung auch ohne Meteoriten, Dinosaurier und ausgetopfte Tiere sehenswert wären. Kaum jemand beachtet zum Beispiel die vielen Landschaftsfresken, die überkopfhoch gemalt sind. Dabei gäben sie für sich genommen bereits eine spannende Ausstellung über die schönsten Landschaften der k.u.k Monarchie ab.
In diesem Museum treffen wir auch Kaiser Franz Stephan wieder: den Edelsteinstrauß mit 2.102 Brillanten, 761 farbigen Edelsteinen sowie Blätter aus Seide schenkte Maria Theresia ihrem Gatten als „kleine Namenstagsüberraschung“. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Weniger verspielt, dafür umso staatstragender, gibt sich das Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Burgrings: das klassizistische Äußere Burgtor. Auf seiner Außenseite sollte man zunächst den schmiedeeisernen Zaun, der das ganze Burgareal zur Ringstraße hin abgrenzt, beachten. Während es im übrigen Bereich schwarz gestrichen ist, glänzt es hier in prächtigem Gold und Rot. Es sind die Originalfarben, die andernorts aus Kostengründen ersetzt wurden.
Doch nun geht es durch das Tor. Meist wird es nur als Durchgang zum Heldplatz wahrgenommen. Dabei offenbaren die beiden für das Publikum zugänglichen Innenräume des Baus die schwierige Rezeption der österreichischen Geschichte im 20ten Jahrhundert. Im linken (Blickrichtung Ringstraße) gelegenen "Weiheraum" dieser staatlichen Gedenkstätte für die Gefallenen der beiden Weltkriege und die Opfer des Nationalsozialismus werden an Gedenktagen Kränze abgelegt. So weit, so korrekt. Umstritten ist hingegen der rechte Raum. Die so genannte „Krypta“ beherbergt eine Gedenkstätte für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges inklusive eines monumentalen Krieger-Kenotaphs. Der ganze Raum atmet dermaßen den Geist seiner Entstehungszeit während der Nazi-Diktatur, dass man sich inzwischen entschlossen hat, es nur mehr museal zu nutzen.
Unverfänglicher, dafür den meisten völlig unbekannt, ist ein Denkmal auf dem Platz zwischen Äußerem Burgtor und der Neuen Burg. Das Papstkreuz von Gustav Peichl aus dem Jahr 1983 wurde anlässlich des Besuchs Johannes Pauls II auf dem Österreichischen Katholikentag geschaffen. Es dürfte zu den am häufigsten übersehenen Monumenten Österreichs gehören. Mir fiel es erst beim Betrachten der Fotos für diesen Beitrag auf, obwohl ich schon dutzende Male daran vorbeigekommen sein muss.
„Dutzende Male“, denn das Weltmuseum in der Neuen Burg gehört zu meinen liebsten Sonntagszielen. Nicht nur wegen der darin ausgestellten Kunstwerke aus aller Herren Länder – wobei diese angefangen von der berühmten aztekischen Federkrone bis zu den kleinen Dörflerfiguren aus Indien mehr as sehenswert sind – sondern wegen des Baus selbst. Der lichtdurchflutete Innenhof mit seinen Fresken unter der Decke ist kitschig-schön. Und das darin untergebrachte Museumscafé hat merkwürdiger Weise mit die beste Sachertorte Wiens.
Noch ist allerdings keine Zeit für ein Stück dieser verführerischen Köstlichkeit: eine Sehenswürdigkeit möchte ich auf diesem Spaziergang noch besuchen, das Reiterstandbild Erzherzog Carls. Und außerdem waren mir rechts neben dem Äußeren Burgtor noch zwei schwarze Blöcke aufgefallen. Auch was es damit auf sich hat, muss ich unbedingt noch herausfinden.
Antwort gibt die in den Boden eingelassene Inschrift, hier wird der im Dienst zu Tode gekommen Polizisten und Gendarmen gedacht. Man mag von der Gestaltung halten, was man will: neben dem Prunkt der Neuen Burg und dem zweifelhaften Pathos des Äußeren Burgtors atmet dieses Monument, massig und dennoch schutzlos den Jahreszeiten ausgeliefert, echte Betroffenheit. Gut, dass die Republik an solch prominenter Stelle dieser Menschen dankt – sollte ich jemals vor einem der Denkmäler auf dem heutigen Weg ein paar Blumen ablegen, es wäre hier.
Weit weniger gerne würde ich sie dem Dargestellten am Schlusspunkt dieser Stadtwanderung widmen. Erzherzog Carl reitet hier als „Held von Aspern“ 1809 gegen Napoleon hoch zu Ross Richtung Hofburg. Kaiser Franz Joseph I. hatte ihn hier 1860 auf den Sockel setzen lassen, in Ermangelung eines echten militärischen Helden aus dem Hause Habsburg. „Dem heldenmüthigen Führer der Heere Österreichs“ steht auf der einen Seite des Denkmals, „Dem beharrlichen Kämpfer für Deutschlands Ehre“ auf der anderen. Beides Lügen: zwei Monate nach Aspern verlor Carl bei Wagram gründlich gegen Napoleon und schloss wenige Tage später ohne Ermächtigung seitens des Kaisers den Waffenstillstand von Znaim. Er wurde zum Totengräber des Heiligen Römischen Reiches und war – nicht nur nach heutigen Maßstäben - ein Fall fürs Kriegsgericht.
Ein Meisterwerk ist dieses Standbild denn auch nicht aufgrund dieses royalen Versagers, sondern wegen des Pferdes, dass ihn trägt. Der Bildhauer Anton Dominik Fernkorn hat hier das Meisterstück fertiggebracht, 10,5 Tonnen Bronze (andere Quellen sprechen sogar von 20t) so fein auszutachieren, dass das ganze Kunstwerk nur auf den beiden Hinterhufen des Pferdes zu stehen kommt. Eine unglaubliche statische Leistung!
Es ist ein einzigartiges Kunstwerk. Aber dies wird wohl niemanden wundern. Schließlich steht das Denkmal an einer einzigartigen Straße. In einer einzigartigen Stadt.
(Stadtspaziergang 06.03.2020)
Meine Tipps:
Erübrigen sich dieses Mal. Auf diesem Weg ist so ziemlich jedes Haus ein Tipp.
Erübrigen sich dieses Mal. Auf diesem Weg ist so ziemlich jedes Haus ein Tipp.