Konkurrenz belebt das Geschäft

Alt-Lerchenfeld (7. Bezirk Neubau, 8. Bezirk Josefstadt)

Mir ist durchaus bewusst, dass Breitenfeld nicht Lerchenfeld ist, die Breitenfelder Pfarrkirche also in einem Bericht über Alt-Lerchenfeld eigentlich nichts zu suchen hat. Andererseits liegt sie – zumindest laut dem allwissenden Orakel unserer Zeit, Google Maps - gar nicht im namensgebenden Bezirksteil, kann also keine Anrechte auf korrekte Vereinnahmung geltend machen. Ein Schicksal, dass sie im Übrigen mit ihrer Alt-Lerchenfelder Schwester teilt: die steht im Schottenfeld. Da es mir aber an diesem Tag mehr um einen interessanten Stadtspaziergang als um die Feinheiten des Wiener Kastralwesens geht, definiere ich mir mein Alt-Lerchenfeld selbst als den stadteinwärts gelegenen Zwickel zwischen den U 6 Stationen Thalia Straße und Josefstädter Straße. Groß ist das Grätzl eh nicht, ganze 6 Straßen von West nach Ost und wohlwollend gezählte 4 von Nord nach Süd, zudem sind Sehenswürdigkeiten dünn gesät. Da kommen mir zwei Kirchen gerade recht, zumal die beiden zeitlich nahe zusammenliegenden Bauten unterschiedlicher kaum sein könnten.

BObwohl ich an der Josefstädter Straße ausgestiegen bin, St. Franziskus Seraphicus – so der korrekte Name des Breitenfelder Gotteshauses – also von der anderen Straßenseite herübergrüßt, führt der erste Weg zur Konkurrenz. Der Grund ist einfach: Es ist kurz nach 10 Uhr am Sonntagmorgen und sowohl um 9:30 Uhr als auch um 11:15 Uhr sind im Pfarrblatt Messen angezeigt. Da will der schmale Zeitslot dazwischen optimal genutzt sein, zumal ich von einem früheren Besuch her weiß, dass der Bau Interessantes zu bieten hat.
Bemerkenswertestes Gebäude auf dem Weg dorthin ist das „Institut für Anarchismusforschung“ in der Sanettystraße. Wer sich für den Anarchismus im Allgemeinen und Publikationen wie „Der Anarchosyndikalismus und der Buchdruckerstreik 1913/14 in Österreich“ interessiert, ist hier richtig. Ich eher nicht, trotzdem: für einen ehemaligen Arbeitervorort ist das Institut passend. 

Ansonsten ist die Erinnerung an die Belegschaften der Schottenfelder Industriebetriebe, die hier unter teilweise erbärmlichen Bedingungen zusammengepfercht lebten, aus dem Stadtbild verschwunden. Im Laufe der Urbanisierung seit der Eingemeindung in die Stadt Wien im Jahr 1850 entstanden in Alt-Lerchenfeld dieselben gutbürgerlichen Wohn- und Geschäftshäuser, die das Gesicht der meisten zentrumsnahen Bezirke prägen. Was bei Gott nichts Schlechtes ist, das Grätzl ist attraktiv und mit Sicherheit ebenso lebens- wie liebenswert.

Wirklich spektakulär ist die Pfarrkirche, wobei die Frage, ob sie auch „schön“ ist, sehr im Auge des Betrachters liegt – im Inneren herrscht der schiere Horror vacui. Aber der Reihe nach.

1843 wurde der Neubau eines repräsentativen Gotteshauses beschlossen, wobei wohl auch die Konkurrenz zum nahen Breitenfeld, wo seit 1835 ein Neubau in Planung war, eine gewichtige Rolle gespielt haben dürfte, denn die Dimension, die den Lerchenfelder Honoratioren vorschwebte, war für den kleinen Vorort völlig überdimensioniert. Es war das typische „meiner“ bzw. in diesem Falle „meine ist größer“-Gehabe, das kleinstädtische Lokalpolitik bis heute prägt. Gut so, denn wo kämen wir hin, wenn nur bedarfsgerecht geplant und gebaut würde.

Zwischen 1848 und 1861 jedenfalls entstand die Pfarrkirche "Zu den sieben Zufluchten", für nicht-Katholiken wie mich: ein gegenreformatorisches Stelldichein aus Dreifaltigkeit, noch einmal dem Gekreuzigten, dem Sakrament des Altares, der Gottesmutter, den Engeln, den Heiligen und den Armen Seelen. Und da man all dem gerecht werden musste (und außerdem die Kunst der Nazarener mit ihrer farbenfreudigen Adaption des Mittelalters gerade populär war), wurde gemalt, was das Zeug hielt, vom Anbeginn der Welt – siehe den Zodiak im Gewölbe des Eingangsbereiches – bis zum Jüngsten Gericht in der Apsis. Großes Kino.

Prominente Namen wie von der Nüll, Führich und Kuppelwieser waren an Planung und Durchführung beteiligt. Was dabei herauskam, ist ein quietschbuntes Bilderbuch der Heilsgeschichte, eingebettet in eine überbordende Ornamentik, irgendwo zwischen Tante Käthes Strickvorlagen und Alhambra. Kein Quadratzentimeter Wand, der nicht „gestaltet“ wäre.

So sehenswert und anerkennenswerterweise künstlerisch wertvoll all die Fresken, Glasfenster und Skulpturen im Einzelnen sind, irgendwann flimmert es nur noch vor den Augen und ich bin froh, als ich wieder auf der Straße stehe.
Quer durch den Stadtteil geht es im Bogen zurück zum Gürtel. Schöne Häuser, angenehm gestaltete Innenhöfe, finanzierbare Gastronomie, kurz, alles Bestens, ohne dass man wirklich innehalten würde. Und so stehe ich nach gut 15 Minuten vor der nächsten, und für heute letzten, Kirche: eben vor St. Franziskus Seraphicus (hinter dem sich schlicht der heilige Franz von Assis verbirgt).

Seit 1835 in Planung, aber erst 1898 geweiht, wetteifert die Kirche in Bezug auf die völlig überzogene Größe mit ihrem Lerchenfelder Pendant, ist aber zumindest im Inneren der gerade Gegenentwurf. Klassizistische Kühle prägt den großen Raum, farbige Akzente setzten lediglich der Altar und zwei Gemälde in den Seitenschiffen: Rudolf Bachers „Geburt Christi" und Franz Zimmermanns „Kreuzabnahme", beides qualitätvolle Werke, auf die man sich auch wirklich konzentrieren kann. 

Ansonsten dominiert klinisches Weiß, wobei ich nicht beurteilen kann, ob die Kirche immer schon so antiseptisch wirkte, oder ob diese Nüchternheit erst durch den Wiederaufbau nach den schweren Zerstörungen des zweiten Weltkrieges zustande kam. Die aus der Wiederaufbauphase stammenden Grisaille-Fenster von Franz Deéd tragen jedenfalls maßgeblich zu diesem Eindruck bei.

Für die menschliche Komponente sorgt ein sichtlich gutgelaunter Herr, der sich in einer Ecke des ansonsten menschenleeren Gotteshauses in aller Seelenruhe eine Tüte dreht. Aber der stammt sicherlich aus Ottakring.

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Meine Tipps:

- Der Vollständigkeit halber die Webadresse des Institut für Anarchismusforschung: https://anarchismusforschung.org/

- Wer Details zur Ausstattung der Alt-Lerchenfelder Pfarrkirche nachlesen möchte kann in der Pfarrkanzlei einen umfangreichen Bildführer um 8 EUR erwerben (http://www.pfarrealtlerchenfeld.at/.../kirchenfuehrer2017...)

- Wie vielfältig Knödel daherkommen können wird in der Knödelmanufaktur in der Josefstädter Str. 89 präsentiert (https://www.willstdumitmirknoedeln.at/knoedel-manufaktur.../).

 

© Hartmut Schulz 2023

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