Das goldene Ei

Von der Kirche am Steinhof zum Dehnepark (14. Bezirk Penzing)

Für alle, die das Wiental hinab kommend sich der Stadt nähern, ist die linkerhand hügelan gelegene Kirche am Steinhof das erste der ikonischen Bauwerke Wiens, das sie zu sehen bekommen. Wie ein überdimensioniertes Fabergé-Ei thront ihre goldene Kuppel zwischen dem Grün der Bäume und macht, zumindest bei strahlendem Sonnenschein, eindrucksvollen Effekt. Die Kirche zum Heiligen Leopold– so der eigentliche Name der Kirche nach dem Patrozinium des Landesheiligen -  eröffnet somit gewissermaßen die Wiener Wagnerfestspiele, die sich über die Stadtbahnstationen des Gürtels, die Wienzeilenhäuser, den Pavillon am Karlsplatz, die Postsparkasse und das Schützenhaus bis zur fernen Nussdorfer Wehr hinziehen.

Man mag von Otto Wagner (1841 - 1918) halten, was man will. Tatsächlich bieten die ökologisch unverzeihliche Wienfluss Verbauung und sein rabiater Umgang mit dem alten Baubestand der Stadt rückblickend deutlich Anlass zur Kritik. Aber: Die Gebäude keines anderen Architekten interagieren bis heute so mit der Wiener Bevölkerung, kein anderer hat den städtischen Raum dieser Stadt gestaltet wie er.

Welch ein Genie Wagner gewesen ist, fällt mir wieder auf, als ich am heute, an einem der ersten wirklich warmen Sommertage dieses Jahres und somit leicht erhitzt vom Weg den Hügel hinauf, in die angenehme Kühle des Kirchenraumes trete. 

Vor wenigen Tagen war ich auf dem Zentralfriedhof. Es bedarf keiner großen Fantasie, um die Parallelen zwischen St. Leopold und der nur wenige Jahre später Friedhofskirche Max Hegeles zu erkennen: Ein wuchtiger Zentralbau, überragt von einer mächtigen Kuppel, auf der zentralen Achse der sie umgebenden Anlage effektvoll inszeniert. Und doch – welch ein Unterschied! Wo Hegele eine mit dramatisch inszeniertem, letztendlich aber erschreckend trivialen Sternenhimmel und einem schönen, für den klobigen Kirchraum indes viel zu feingliedrigen Hochaltar nicht mehr als eine in den leeren Raum hineingestellte Kulisse für ein zünftiges Wiener Pomp Funebre abliefert, entwickelt sich Wagners Kirchinneres in der Raumgestaltung ebenso wie in der Ausstattung organisch aus den Gegebenheiten des Baukörpers. Kurz, er liefert ein Meisterwerk.

Dabei waren die Anforderungen, denen er sich gegenübersah, enorm. Immerhin war die Kirche Teil der Niederösterreichischen Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke (heute Klinik Penzig) und musste somit einigen ungewöhnlichen Anforderungen gerecht werden. So gibt es zum Beispiel Toiletten direkt im Gebäude sowie ein Arztzimmer. 

Wie sensibel dieser Architekt sich in die Bedürfnisse seiner speziellen Klientel hineinzufinden vermochte, zeigt sich aber vor allem in dem, was in dieser Kirche nicht zu finden ist. Es gibt keinen Christus am Kreuz, keinen Kreuzweg, überhaupt: keine Darstellung von Gewalt. Wagner wollte die labilen Patienten der Klinik mit solcherlei Darstellungen nicht zusätzlich psychisch belasten. 

Zu den Krankenanstalten gehörten auch ausgedehnte Obst- und Gemüsefelder auf der Hochebene nördlich der Kirche, das heutige Naherholungsgebiet der Steinhofgründe. 

Den schmalen Waldgürtel hinter St. Leopold zu verlassen und zwischen den Obstbäumen auf die Wiese zu treten, ist wie ein Schritt in eine andere Welt – die 2-Millionen-Stadt ist wie vom Erdboden verschluckt, Grün, wohin man schaut und in der blauen Ferne die jenseits des Wienflusses gelegenen Hügel des Wienerwalds. Allein ist man hier allerdings nicht, die Gegend ist beliebt und auf den Holzbänken und im hohem Gras braten sonnenhungrige Wiener in der Sonne.

Wer die Einsamkeit sucht, muss die hinter dem Areal gelegene Senke, das Rosental mit seinen Kleingartenanlagen, durchqueren und auf der anderen Seite den Weg zum Silbersee einschlagen. Mitten im Wald gelegen eignet er sich weder zum Schwimmen noch zum Sonnenbad oder zum Grillfest – es herrscht Idylle pur. Daran, dass in der ganzen Region bis in 20te Jahrhundert hinein Stein gebrochen und Lem und Gips abgebaut wurden, erinnert bestenfalls die nahegelegene Felswand. Der Silbersee selbst ist eine abgesoffene Gipsgrube. Von der hektischen Betriebsamkeit, die hier einmal geherrscht haben muss, ist indes nichts mehr zu auch nur zu ahnen. Außer einem Reiher und zwei Libellen bin ich allein.

Deutlich belebter ist der sich im Süden anschließende Dehnepark – und das aus gutem Grund: Hier sind, eine Seltenheit in den kommunalen Grünanlagen, Hunde erlaubt. Und so tummeln sich hier im Wasser und zu Land Vierbeiner aller erdenklichen Größen, Farben und Rassen. Um Wald gibt es zudem einen großen, schönen Kinderspielplatz. Als ich vorbeikommen, werden gerade zwei Geburtstage gefeiert, einer im Pavillon, einer auf der Bachwiese. Entsprechend laut und ausgelassen geht es zu. 

Der Name des Parks geht übrigens auf einen Konditormeister des 19ten Jahrhunderts, August Dehne, zurück, der am Michaelerplatz den Vorgänger des heutigen Café Demel betrieb. Auch damals schon eine Goldgrube, Dehne konnte sich neben einem Palais in der Inneren Stadt auch diesen großzügigen Grundbesitz am Stadtrand leisten. 

Einer der Nachbesitzer des Geländes war im 20ten Jahrhundert der Filmstar Willi Forst, erfolgreicher Schauspieler und Regisseur unter anderem des Skandalstreifens „Die Sünderin“ von 1951 und des bis heute dann und wann im Fernsehen zu sehenden „Im weißen Rößl“ aus dem Folgejahr. Er ließ sich hier eine kleine Villa zum Arbeiten und für Festivitäten bauen. Der traurige Zustand des inzwischen treffend als „Ruinenvilla“ bezeichneten Gemäuers macht es schwer, sich vorzustellen, dass hier einmal die glamourösen Leinwandikonen ihrer Zeit in die Nacht hineingefeiert haben. 

Auch Willi Forst scheint es nicht recht glauben zu können. Jedenfalls wurde mir glaubhaft versichert, dass es hier des Nachts spukt. Vorstellbar wäre es.

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Meine Tipps:

- Nachdem die Kirche am Steinhof jahrelang wegen COVID geschlossen war, kann sie inzwischen wieder besichtigt werden. Infos unter https://www.wienmuseum.at/de/standorte/otto-wagner-kirche-am-steinhof

- Willi Forst und der glanzvollen Zeit des Wiener Films ist folgender Beitrag gewidmet: https://cinema-austriaco.org/de/2021/08/11/willi-forst-strahlendes-wien/

 

© Hartmut Schulz 2023

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